Lehmann, Christine
Lisa Nerz werden und die anderen aus der antrainierten Reserve ballern.
»Deine Versuchsanordnung gerät außer Kontrolle, Zippora«, rief ich. »Dein Kaninchen zeigt Zähne. Rache nennt man das. Einer von euch wird sterben. Ihr könnt euch aussuchen, wer.
Vielleicht möchte jemand von euch die Verantwortung übernehmen?«
»Wofür?«, fragte Butcher erstaunt.
»Für den Tod von Torsten Veith, für den von Michel Ardan, für den Tod von Susanne Veith und ihren Ki n dern, Diana und Luca, und für den Tod meines Lebensgefäh r ten, Richard Weber.«
»Wer ist das denn?«, brummte Artjom Pilinenko.
»Dr. Richard Weber war Fachmann für Urheberrecht und Datenschutz. Er saß für Europa im COPUOS. Ein echter Kraut, wie David findet. Er wollte euch Wel t raumnationen die Idee vermasseln, ihr könntet hier ei n fach eure Claims abstecken, den Mond unter euch aufte i len und in Wildwestmanier Helium-3 und Seltenerde a b bauen und was ihr sonst noch so findet. Außerdem war er die treibende Kraft hinter den europäischen Bestrebu n gen, dass für Astronauten bei Langzeitaufenthalten ein Mindestmaß an Datenschutz gilt und Big Brother nicht alles zu sehen bekommt.«
Zippora verzog abschätzig das Gesicht.
»Ja, er war durchaus gefährlich für euch. Wie gefäh r lich, ist mir erst hier oben klar geworden. Als Erdenbü r ger kommt man ja nicht so einfach drauf. Da muss man erst für ein paar Tage im Artemis-Gefängnis stecken und sehen, wie erfinderisch der Mensch wird, wenn es darum geht, Kontrollen zu umgehen, wie emsig er Beziehungen knüpft, die verboten sind, wie rücksichtslos er seine e i genen Ziele verfolgt, ehrgeizig oder todessüchtig. Wenn das die Erfahrungen sind, die du sammelst für künftige Marsmissionen, Zippora, dann kann ein Flug zum Mars niemals stattfinden. Es sei denn, ihr Neurologen b e kommt den Menschen in den Griff. Schon Kain erschlug Abel, weil er ihm Gottes Liebe nicht gönnte. Sobald drei Menschen zusammen sind, beginnt das volle Programm: Neid, Eifersucht, Herrschsucht, Mord und Totschlag. Ihr könnt uns testen und trainieren, aber berechnen lässt sich der Mensch nicht. Ihr habt die Kontrolle verloren auf der Artemis. Und heute wird euch das Experiment entgle i ten.«
Ich wedelte mit Wims ungeladener Pistole.
»Was für ein Experiment soll das denn sein, M i chelle?«, seufzte Zippora.
»Das Inselexperiment: Wann stempeln Astronauten einen der ihren zum Sündenbock? Und wie weit gehen sie, wenn Omega die Gruppe nicht verlassen kann? E r morden sie ihn gar? Oder führt der Sündenbock selbst einen tödlichen Unfall herbei? Wie verhalten sich Astr o nauten, wenn einer stirbt und wenn sie glauben, sie wü r den alle an einer geheimnisvollen Krankheit sterben? Was passiert, wenn ihnen klar wird, dass sie Geiseln e i nes Verrückten sind? Wie organisieren sie sich? Wann meutern sie? Wann bewaffnen sie sich? Wann wird der Erste gelyncht? Und wenn ich jetzt einen von euch e r schieße, kannst du das sogar als Erfolg verbuchen, Zi p pora.«
»Verstehe ich nicht«, sagte Bob.
Morten Jörgensson hatte mich durchaus verstanden. Aber er suchte noch nach Worten.
»Wenn ich jemanden erschieße«, erklärte ich, »dann hätte Zippora den Beweis, dass es im interstellaren Raum ohne absolute Kontrolle nicht geht. Nicht ohne impla n tierte RFID-Transponder , ohne Abhören der Quartiere, ohne Kameraüberwachung und lückenlose Aufzeichnung aller Biofunktionen! Sie hätte den Beweis, dass man da r über hinaus ein neurologisches Implantat braucht, das es erlaubt, einen Amokläufer von der Bodenkontrollstation aus abzuschalten. Versteht ihr? Nur Cyborg schafft es bis zum Mars oder zur Venus, nur Hybride, Menschen mit elektronischen Implantaten. Aber leider ist das nicht ve r einbar mit unseren humanistischen Werten. Und der schwäbische Oberstaatsanwalt Richard Weber war nicht nur eingefleischter Rechtsstaatler, sondern auch Pietist. Niemals hätte er die Idee von Cyborg schweigend als Option für die Raumfahrt toleriert. Und wenn er dafür mit dem Leben hätte bezahlen müssen.«
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»Es ist kaum wahrscheinlich, dass der Mensch auch durch den allergescheitesten flügelähnlichen Mechani s mus, den er durch seine eigene Muskelkraft zu bewegen hätte, in den Stand gesetzt werden würde, sein eigenes Gewicht in die Höhe zu heben und dort zu erhalten.« Hermann von Helmholtz, 1873
Ich war aus dem Klofenster im Hangar auf dem Sege l flugplatz Wallmusried gesprungen. Einen Moment später hatte
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