Lehmann, Christine
bei Jules Verne. Klar?«
Entgeisterung war kein Ausdruck für das, was auf den beiden Gesichtern kreiste.
»Tja, Freunde, ich bin kein Astronaut, ich bin Journ a list und …« , ich griff etwas zu hoch, »und Literaturwi s senschaftler.« Im Englischen gab es dafür keine weibl i chen Endungen.
Van Sung lächelte noch. Tupac nicht. Ich hatte schon immer den Verdacht gehabt, dass Pfeilgiftfrösche humo r los waren, vor allem, wenn sie sich bis auf die Anstalt s unterhose ausgezogen hatten.
»Und deshalb«, fuhr ich fort, »I need to phone home, you know! Ich muss nach Hause telefonieren? Ju a n der schtänd?«
Sie verstanden mich nicht.
»Und was soll eigentlich dieser Striptease? Seid ihr schwul?«
»Concha tu madre!«, schrie Tupac und packte mich am Arm. Seine Kraft war überraschend. »Du hast von nix ’ ne Ahnung, eh? Hör zu: Ich habe meine Familie verla s sen und mein Land verraten, um Astronaut zu werden. Von dir lass ich mich nicht verarschen!«
»Tupac!«, sagte Van Sung mahnend.
Der Bolivianer ließ mich los. »Was red ich? Wir we r den sowieso alle sterben!« Damit drehte er sich um. Eine Tür schlug.
»Er duscht sich«, erklärte Van Sung. »Eine Siche r heits maßnahme, wenn wir in der Biosphäre gewesen sind. Danach ziehen wir andere Sachen an.«
Gänsehaut kroch mir über Arme und Rücken vor Lust auf eine Dusche.
»Deshalb kommen die Frauen uns auch so gern bes u chen im Biolab.« Van Sung lachte meckernd. »Bis sie merken, dass die Haut kaputtgeht von dem Desinfekti on s zeug.«
»Und … warum werden wir alle sterben?«, fragte ich.
»Tupac glaubt, dass Torsten nur der Erste war. Und er sei nicht der Einzige hier, der an dem leidet, was sie da, wo Tupac herkommt, el susto nennen.«
»Den Schock?«
»Eine Krankheit, you know. Sie befällt Menschen, die ihre Seele verloren haben, da wo Tupac herkommt. Sie äußert sich in Blutarmut, Schlaflosigkeit und Unruhe. Ich bin Buddhist, you know, wir kennen die Seele, wie ihr sie kennt, nicht. Tupacs Volk glaubt, dass alle Menschen eine große Seele haben, ihr Leben, und eine kleine, die ihr Europäer Psyche nennt. Die kleine Seele muss man sorgsam hüten, denn sie kann leicht abhandenkommen . Etwa, wenn man einen Schreck bekommt, wenn der Blitz einschlägt oder man Geister trifft, you know. Die Seele bleibt am Ort des Schreckens zurück und nur ein Med i zinmann kann sie zurückholen.«
Ein kleiner Horror kullerte mir eiswürfelig hinters Brustbein. »Na, dann wirst du hier wenigstens nicht ste r ben, Van Sung, du hast ja keine Seele.«
Der Waran kicherte.
14
»Schlösser, die im Monde liegen/ Bringen Kummer, li e ber Schatz./ Um im Glück dich einzuwiegen/ Hast du auf der Erde Platz!« Frau Luna, Operette von Paul Li n cke, 1899
Plötzlich Kinderpanik, Mutterhysterie und Aufbruch. Susanne packte ihre durchnässten Kinder und gab mir ihre Handynummer. »Rufen Sie mich an, wenn Sie noch was wissen wollen. Aber morgen sind wir auf dem Tö p fer markt in Wangen und am Sonntag auf dem Flugplat z fest in Wallmusried. Aber wenn Sie Lust haben …«
Nicht im Geringsten. »Ich habe ja Ihre Nummern!«
Mit ihren drei durchnässten und quengeligen Dergln zog Susanne Veith davon. Sie musste mit Luca keine drei Tage nach der Adoption schwanger gewesen sein, und gleich darauf war dann Diana gekommen.
Ich erlöste Brontë aus der Tiefgarage und folgte den Schildern zum Bodensee-Airport. Hinter einem Dornr ö s chenwald jenseits der Bundesstraße 31 öffnete sich u r plötzlich das Flugfeld mit seiner Start- und Landebahn. Links ein kleiner Tower und der Hangar für den Zeppelin NT, der gerade damit beschäftigt war, Touristen über den See zu tragen. Ein paar Sportflugzeuge dösten in der Sonne. Vor dem schwarzen Wald dächelten die Gebäude der neuen Raumbahnhofanlagen. Nur, wie kam man da hin? Die Schilder waren verschwiegen.
Ich rollte am Dornier-Gebäude vorbei und wurde zur Abfertigungshalle gekurvt. Vor den Schranken zum Parkplatz konnte ich gerade noch stoppen, ehe sie mich schluckten. In seiner menschenleeren Abfertigungshalle hing in einer Rotunde das mit goldschimmernden So n nensegeln ausgestattete Modell eines ESA-Satelliten. Auch hier fehlte der Hinweis zum Raumfahrtbahnhof. Wahrscheinlich fürchtete man immer noch Aktionen von Waldschützern und Stellarisierungsgegnern. Monatelang hatten sie auf dem Flugfeld campiert und im Wald auf den Bäumen gesessen, um die Erweiterung des Flugh a fens zum Raumfahrtbahnhof zu
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