Lehmann, Christine
Downlink war überleben s wichtig. Das stand außer Frage.
»Sonst«, fuhr Zippora, immer noch erklärend, fort, »sonst bekommen Banalitäten eine übergroße Bede u tung, kindische Streitereien brechen aus.«
»Jaja, verstehe!«, sagte mein kommunikativer Autop i lot, während sich jede Faser in mir auf die Überraschung freute, die ich Sally gleich bereiten durfte. »Aber passiert das hier nicht gerade seit einigen Monaten?«
»Das hat andere Gründe.«
»Welche?«
Ich hörte mir kaum zu, geschweige denn Zippora. Sie redete, als hätte ihr seit Jahren keiner mehr zugehört. Vielleicht auch so ein Symptom von Mondkoller. Wä h rend ich mich fragte, worauf wir eigentlich warteten, schwallte sie mich zu mit Streitigkeiten über explorative Roboter, die draußen nach allem Möglichen suchen sol l ten, nach protoplanetarischem Staub, Antimaterie, Sel te n erden, terrestrischem Urgestein und Planetoidentrü m mern für diverse Forscher und nationale Projekte. »Da geht es um Politik«, hörte ich. »China und Russland s u chen im Aitken-Becken nach Referenzgestein für die Herkunft des Mondes.«
Meine Seele begann zu zittern vor Gier. Vielleicht würde Sally mir ja sogar mitteilen, dass Richard die Ex p losion überlebt hatte. Bitte, bitte, sei so lieb …
»Sie sprechen bereits von Sabotage, weil der Roboter mit Tonnen von Steinen im Aitken-Becken feststeckt. Torsten Veith …«
»Was?« Ich schreckte aus meinem inneren Taumel.
Zippora lachte. »Worum geht es letztlich bei Streit e reien? Um den Rang in der Gruppe, darum, welche V i deos geguckt werden und wer das beste Stück Fleisch b e kommt. Emotional sind wir Affen. Mein Forschungsg e biet ist die Synergetik, die Selbstorganisation von Syst e men, auch menschlichen: Frontenbildung, Imageasy m metrien, Pferchungsstressbewältigung. Wir wollen ja e i nes Tages zum Mars fliegen, nicht?«
Mir wurde erneut schwindelig. Entweder ich erlitt g e rade einen Herzinfarkt oder einen Kreislaufkollaps. Doch Zippora redete und redete.
»Technik können wir kontrollieren, aber den Me n schen nicht. Er ist unberechenbar.«
»Welche Rolle hat Torsten hier gespielt?«, riss ich mich an den Haaren aus der Ohnmacht.
»Torten Veith hatte immer was auszusetzen an der Organisation hier oben. Er hat unserem Kommandanten Butcher vorgeworfen, das Scheitern von Lunochod 14 im Aitken-Becken bewusst in Kauf genommen zu haben, um einen Konflikt mit China und Russland zu provozi e ren. Aber auch Torsten ging es nur um seine eigene Pos i tionierung in der Gruppe. Darum geht es letztlich immer, egal, welche Sachfragen diskutiert werden. In unserem Fall hat es dazu geführt, dass auf einmal alle allen unte r stellten, sie seien nur auf ihren nationalen oder persönl i chen Vorteil bedacht. Alles ist sehr kompliziert gewo r den. Es regieren die Formalitäten. Die Roverfahrer ve r langen nun für jeden Transport exakte Abrechnungen. Die ehemaligen Ostblockler haben sich zusammeng e schlossen und berufen sich aufs uralte Moon Agreement , wonach Russland alles gehört, was es bringt. Daraufhin haben alle angefangen, ihr Eigentum zu kennzeichnen, vom USB-Stecker bis zu den Gebäuden.«
Ich blickte mich um. Auf jeden Fall klebten über den Türen der jeweiligen Module die Logos nationaler Wel t raumagenturen. Die von NASA und Roskosmos besta n den aus planetaren blauen Kreisen oder Ellipsen mit r o tem Pfeil. ESA und JAXA setzten auf blaue Buchstabe n kunst.
»Wir haben sogar die Quartierbelegung ändern mü s sen und alle aus den ehemaligen Ostblockstaaten ins ru s sische Modul gesteckt. Daraufhin hat Krzysztof Skarga plötzlich Protest eingelegt. Bei der derzeitigen polit i schen Lage könne man einem Polen nicht zumuten, mit einem russischen Mafioso – er meinte Pjotr Turenkow – und einem russischen Offizier – also Artjom Pilinenko – den Raum zu teilen. Wir haben ihm das japanische M o dul angeboten, aber er wollte auch nicht mit einem Deu t schen zusammen schlafen.«
»Mit Torsten.«
»Sein Tod hat viele erschreckt. Da geht einer alleine raus, weil man ihm die EVAs gestrichen hat. Unter Mis s achtung aller Vorsichtsmaßnahmen.«
»Hat nicht auch das Leitsystem versagt? Zeus?«
»Das hat letztlich keine Rolle gespielt. Torsten hat seine Uhr nicht getragen. Für Zeus sah es so aus, als schliefe er in seinem Quartier … Ah, Rhianna, du bist fertig? Alles okay daheim? Die Kinder sind gesund?«
Die Zeugin Gottes, die mich vorhin bezichtigt hatte, nicht Michel Ardan zu sein,
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