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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nachtkrater
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nickte.
    »Setz dich, Michelle«, sagte Zippora. »Hätte Torsten überlebt, hätte Butcher ihn allerdings mit der nächsten Fähre hinuntergeschickt.« Neben mir summte eine Zent r i fuge. »Ein solcher Regelverstoß kann nicht hingeno m men werden. Butcher ist da sehr konsequent. Muss er sein.«
    Zipporas laute Stimme fing an, in meinem Schädel Echos zu produzieren.
    »So, jetzt tippst du deinen Namen … Ich würde M i chel vorschlagen … und dann legst du deinen Finger hier aufs Digiread.«
    »Zugriff verweigert«, meldete der Bildschirm.
    Rhianna war mit unter dem Busen verschränkten A r men in der Tür stehen geblieben.
    Ich tippte »Michelle Ardan« in die Anmeldemaske und legte meine Fingerkuppe erneut aufs Lesegerät.
    »Zugriff verweigert.«
    »Ein falsch geschriebener Vorname kann ja vorko m men«, überlegte Zippora. »Aber bei einem Fingera b druck kann es keine Verwechslung geben. Lass mich mal.«
    Sie schubste mich vom Schemel und fing an, die Ta s tatur zu behacken. Ihr gewährte der Computer brav Z u tritt. Rhianna, die mich über Zipporas schwarzen Scheitel hinweg ausführlich gemustert hatte, zog eine spöttische Schnute, ließ die linke Braue springen, stieß sich vom Rahmen ab, drehte sich um und verschwand aus unserem Sichtbereich.
    Meine Seele schleuderte in der Zentrifuge. Dazu krei s te Zipporas Stimme wie in Kaleidoskop hinter meinen A u gen.
    »Was war Torsten für ein Mensch?«, fragte ich, um nicht vor Ungeduld zu zerspringen. »Ein Einzelgänger?«
    Zippora rief erst einmal ihre E-Mails ab. Viele hebrä i sche Buchstaben.
    »Nein«, sagte sie. »Einzelgänger kommen hier nicht rauf, Michelle. Die fallen durch die Tests. Nein, Torsten war eher überengagiert, würde ich sagen. Solche Typen können plötzlich umkippen, wenn sie sich … gemobbt fühlen. Ein verletzendes Wort … Morten Jörgensson kann manchmal die Klappe nicht halten. Er fand Torsten zu ehrgeizig.«
    Auf Englisch hieß das ähnlich wie im Französischen: ambitious .
    »Und mit Giovannis besonderem Humor ist Torsten überhaupt nicht zurechtgekommen. Giovanni spielt gern den arbeitsscheuen Italiener. Ist dir nicht gut, Michelle? Du bist ganz grün!«
    »Ich glaube, ich muss …«
    »Setz dich!« Zippora zog mich auf den Schemel und klopfte mir resolut auf die Backen. »Werd mir bloß nicht ohnmächtig!«
    »Ich muss nur mal schlafen. Seit drei Tagen habe ich nicht mehr richtig geschlafen. Und gegessen habe ich heute auch zum ersten Mal wieder was …«
    »Ach Gott, Kindchen. Was machst du nur für Sachen! Komm, ich bring dich ins Bett.«
    »Aber erst muss ich …«
    »Nichts da! Du gehst ins Bett. Das ist ein Befehl!«
    Sie hieb den Finger auf die Tastatur, und das elektr o nische Fenster zur Erde schloss sich. Ich hätte beinahe geheult.

23
     
    »Die Freuden der Liebe sind im Monde gänzlich unb e kannt; denn sowohl unter den kochenden Geschöpfen als allen übrigen Tieren gibt es nur ein einziges G e schlecht.« Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen, Gottfried August Bürger, 1786
     
    Mein ganzes Sein sehnte sich nach Nacht und Nichts. Ich war fertig mit der Welt und zugleich tagwach. Du bist auf dem Mond, dachte ich, das sollte dich erstaunen. Es fühlte sich an wie damals, als meine Eltern zum ersten Mal mit mir in die Ferien gefahren waren und mich unter einem riesenhaften Federbett in einem Landgasthofzi m mer allein gelassen hatten. Das Bettzeug roch fremd, es knackte im Haus, Stimmen murmelten den Gang entlang, Schweinwerfer vorbeifahrender Autos rasten über Wand und Zimmerdecke. Mir gegenüber ächzte das Gespenst des Schranks und in meinem Herzen das Heimweh.
    Vielleicht hätte Sally mir ja tatsächlich geantwortet: »Richard? Wieso tot? Und du auf dem Mond? Willst du mich verkackeiern ?«
    Wie soll ich denn da schlafen, unter derartig fede r leichter Bettdecke und ohne recht einzusinken in der Matratze?, dachte ich und kippte schon weg. Gleich da r auf schreckte ich wieder hoch. Gleißendes Licht flutete meine Augendeckel. Ich riss die Augen auf, aber es war stockfinster im Quartier. Eine Halluzination? Eine Folge der Überanstrengung von drei Tagen Kopfstand in der Schwerelosigkeit? Ich sank halbwegs beruhigt zurück an die Grenze zum Schlaf, doch wieder riss mich das Leuc h ten zurück. Es fing an einem Punkt an, explodierte und verflackerte nach ein bis zwei Sekunden, weiß, rot, blau. Ein Hirntumor? Das auch noch, dachte ich. Aber es regte mich nicht einmal mehr auf. Einzig wichtig war doch nur der

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