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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nachtkrater
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Downlink zu Sally. Und den würde ich morgen hinkriegen! Koste es, was es wolle. Darüber schlief ich ein. Man hätte mich im Schlaf ermorden können, es wäre mir egal gewesen.
    »Ich hab ihm das Messer da hingehalten, worum er am meisten Angst hatte, eh? Und wie er rückwärts sprang, hab ich ihm noch den Absatz in die Eier gedrückt!«
    Gelächter weckte mich. Gemurmel hing in der Luft, Düfte, Lampenlicht. Das Quartier hatte sich urplötzlich in ein Mädchenpensionat verwandelt. Gail saß in Schlü p fer und Unterhemd auf der Bettkante und lackierte sich die Fußnägel. Ihre Brüste baumelten halterlos im Hemd. Sie war es, die eben von Eiern und Messern erzählt hatte.
    Yanqiu bürstete sich das glatte schwarze Haar. Sie ha t te nur noch Schlüpfer und BH an. Ihr nackter Bauch warf kleine Falten, während sie sich vornüberbeugte und vom Nacken über den Kopf bürstete. Das Haar schwebte fast wie Haar im Wasser. Es fiel nur langsam.
    »Oh, haben wir Cyborg geweckt?«, fragte Gail.
    Yanqiu strich ihr Haar zurück, drehte sich zu mir um und lächelte. »Übrigens, man gewöhnt sich daran!«
    »Woran?«
    »An das Augenleuchten. Es passiert nur, wenn die Sonne auf diese Seite scheint. Es kommt von solaren Protonen, die auf die Außenwand treffen und Sekundä r teilchen freischießen. Wenn sie die Retina erreichen, dann gibt es Wette r leuchten im Auge.«
    »Ach so!« Als Journalistin las man ja so allerlei, was man nie im Leben brauchte, aber so was hatte ich nie gelesen. Immerhin litt ich nicht an Schizophrenie oder einem Hirntumor. Eine Sorge weniger!
    Ich schlug die Hände unter den Kopf. Wohltuende Fri sche herrschte in meinem Kopf. Glückliche Gemü t lichkeit. Yanqiu hatte auf dem winzigen Tisch unterm Bul l auge Cremetöpfchen aufgestellt. Irgendwo hatte ich in fernen Tagen gelesen, dass ein Kilo Weltraumfracht zehn- oder zwanzigtausend Euro oder Dollar kostete. Jedenfalls viel.
    »Nagellack«, bemerkte ich.
    »Tja, wir sind noch Frauen!«, kokettierte Gail. »Auch wenn du da schon drüber raus bist.« Sie stemmte sich gegen das Knie und versuchte, über den auf die Bettkante gestellten Fuß zu blasen. »Und zwanzig Gramm hatte ich noch frei.« Sie blickte kurz auf. »Wir dürfen anderthalb Kilo persönliches Gepäck mitnehmen.« Sie fächelte den lackierten Zehen mit der Hand Luft zu. »Und ihr?«
    »Ich habe eh nichts mit.«
    Die Aborttür schwang auf und Rhianna erschien mit nackten Beinen und im Artemis-T-Shirt, das ihr bis knapp unter die Pobacken reichte. Eine Wolk e Parfüm – das der Waschtücher – begleitete sie zu ihrer Koje, die sich genau über meiner befand.
    »Und wer schläft hier sonst noch?«
    »Zippora«, antwortete Yanqiu und deutete auf die K o je an der Türseite. »Sie kommt erst später. Sie braucht nur vier Stunden Schlaf, sagt sie. Und Tamara hat noch zu tun.«
    Meine Uhr zeigte halb elf. Ich wusste, draußen herrschte gleißende Helligkeit, die Sonne knallte direkt auf die Außenwand. Aber das verschlossene Bullauge und das elektrische Dämmerlicht reichten aus, um ein Jugendherbergsnachtgefühl zu erzeugen. Fehlte nur noch das heimliche Rauchen.
    Gail schraubte ihr Nagellackfläschchen zu und fäche l te Luft über ihre Zehen. Ich gönnte mir einen Blick in den Zwickel ihres Schlüpfers. Schamhaar kräuselte sei t lich hervor. Ihre Fingernägel blieben unbehandelt.
    »Nein«, sagte sie mit aufreizend müdem Augenau f schlag. Sie hatte meinen Blick abgefangen. »Die Finge r nägel wären reine Verschwendung. Das hält keinen Tag.«
    »Aber an den Füßen«, bemerkte Rhianna in dem ihr offenbar eigenen Ton nörgelnder moralischer Überlege n heit, »da sieht es doch keiner!«
    Doch, ich zum Beispiel, dachte ich, und Yanqiu, und du, Rhianna. Und du regst dich sogar darüber auf. Das ist der Zweck der Sache.
    Gail sah nach der Sorte Frauen aus, die es aufgegeben hatten, sich über die Größe ihrer Nase und die Geringf ü gigkeit ihres Kinns zu grämen, und ungeniert nach eig e nen Maßstäben lebten, mit lackierten Fußnägeln in Moonboots. Rhianna dagegen gehörte eher zu denen, die ihre eigene Enge anderen überstülpen musste, damit sie sich selbst nicht zu kurz gekommen fühlte. Mit nackten Beinen und bedeckter Scham stieg sie die zweistufige Leiter hinauf. Die Liege über mir nahm sie auf. Ich hörte das Geraschel der Decke, die Rhianna über sich zog.
    Yanqiu begann, die Haare aus den Borsten zu zupfen, sorgfältig, langsam, akribisch. Gail stellte beide Füße auf den Boden,

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