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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nachtkrater
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lich.«
    Er hob höflich negierend die Hände.
    Frauen reagierten immer auf Richard. Es lag nicht nur an seiner Eleganz von italienischen Slippern, Bundfa l tenhose und lindgrünem Poloshirt inmitten der Hawaii-Shirts und Eistüten, sondern auch an seiner Hellhörigkeit, die bei einem derartig athletisch ausgebauten Mannsbild überraschte.
    Wir touristeten zwischen Ständen mit Steingut, Seife, Mützen und Schmuck über den Marktplatz in die Par a diesstraße. Auf der Innenwand des Lindauer Tors teilte der heilige Martin seinen Mantel für einen Bedürftigen. Schon als Kind hatte mich sein Geiz aufgeregt. Warum gab er nicht den ganzen Mantel? Ein halber wärmte w e der den Nackten noch ihn.
    Cipión nieste und zog. Genau dorthin hatte Richard auch gewollt. Aus der offen gebliebenen Tür eines L a dens zuseiten des Tors strömte der Duft nach Tabak, Pr a linen und Likören und belebte auf ungehörige Weise die Si n ne. Links ein Tisch für Lottospieler. Drum herum schimme r ten in unpraktischen Flaschen, als Wasserwa a gen und Lebenselixierphiolen getarnt, Schnäpse und L i köre. In Vitrinen häuften sich schokobraun, rosafarben und sah n e weiß Trüffel unter kandierten Früchten in Bonbonfa r ben. Geröstete Kaffeebohnen füllten prall die verglasten B e hälter und verschweißten Tüten des Stuttgarter Kaffe e la bels Hochland. Selbstbewusst in Reihe geordnet stape l ten sich Zigarettenschachteln aller Kat e gorien, auch von der gelben Sorte, die Richard bevorzugte, und in den Ausl a gen und Vitrinen boten sich Zigarrenschneider, Asche n becher, Zigarettenetuis jeder Größe, Feuerzeuge aus Plastik und Silber mit unzeitgemäßer Selbstverstän d lichkeit zum Kauf an. Wie dieses Paradies der Süchte und Drogen stammte auch die Bedienung, die in fast fes t licher Kleidung hinter den Theken hervorsprang und nach u n serem Begehr fragte, noch aus den Zeiten, da Kolonialwaren Kinderaugen glänzen ließen und der T a bakgenuss zur europäischen Kultur gehörte.
    Und niemand hatte etwas gegen meinen Dackel im Laden.
    Richard kaufte zwei Schachteln, die er nicht mehr zu Ende rauchen würde. Aber das ahnte ich nicht.
    »Guck, da ist der Fidelisbäck ! «, sagte er unterne h mungslustig, als wir wieder auf der Straße standen, und deutete auf eine bemalte Fassade jenseits des Kopfstei n pflasters. »Die haben die besten Seelen weit und breit, heißt es. Wir könnten Kuchen kaufen für den Besuch bei Susanne und den Kindern.«
    Der Fidelisbäck war eigentlich ein Flur, der quer durch das alte Gebäude führte. Hinter den Kunden drä n gelten sich immer wieder Ortskundige mit eingezogenen Bäuchen vorbei zum Hinterausgang. Ein gutes halbes Dutzend Verkäuferinnen reichten Gebäck über die lange Theke. Die oberschwäbische Seele war etwa einen ha l ben Meter lang, dünner als ein Kinderarm, besaß eine harte bleiche Kruste mit Salz und Kümmel, ließ sich nicht brechen, nur reißen, und strapazierte die Kaumu s keln.
    »Es heißt«, erklärte Richard, »dass zur Zeit des Dre i ßigjährigen Kriegs ein Bäcker in Ravensburg das Gelü b de ablegte, zu Allerseelen jedem Bettler ein Brot zu g e ben, wenn die Pest an Ravensburg vorüberzieht. Die schwäb i sche Sparsamkeit fand dann die Lösung: kleine Brote aus Dinkel und Hefe. Lecker, nicht?«
    Cipión war auch nicht so begeistert.
    Mit Erdbeerkuchen wanderten wir zum Parkplatz am Milchpilz zurück. Ich versuchte noch einmal, Susanne anzurufen.
    »Probieren wir es halt«, sagte Richard.
    Sein Navigator schickte uns Richtung Ravensburg und hieß uns an einem Baumarkt links abbiegen. An der Straße mit dem altertümlichen Namen Haidösch türmten sich Firmengebäude und Hallen.
    »Was stellen die her? Raketen?«
    »Gar nicht so falsch«, antwortete Richard. »Hermann Wäldner GmbH, einst Flaschnerei in der Bindstraße, K ä sekessel und Milchfilter, heute Laborinstallationen für Schulen und Laboreinrichtungen für den Weltraum. Gu n ter Mauchers Großvater und Torsten Veiths Vater haben dort gearbeitet.«
    Wir kurvten durch ein nagelneues Wohngebiet auf der grünen Wiese mit Straßen, die nach Leuten wie Gustav Freytag und Freiherr von Eichendorff benannt waren. Mitten unter den Herren Dichtern und Denkern zweigte plötzlich eine Louise-Aston-Straße ab.
    Ich musste lachen. »Die hier? Hat Berlin sie nicht 1848 ausgewiesen?«
    »Und in Wangen ist sie zur Ruhe gekommen und g e storben.«
    »Da schau her!«
    »Hieß die Heldin ihres Romans Lydia nicht Alice?«, grub Richard in

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