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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nachtkrater
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seinem Gedächtnis. »Auch sie trug Mä n nerkleider und rauchte Zigarren. Und der Mann, den sie liebte, hieß Richard. ›Du bist der einzige Mann, den ich je geliebt habe, Richard!‹, gesteht sie ihm, bevor er sich über seinem toten Kind erschießt.«
    Er warf mir einen prüfenden Blick zu, der alle meine Alarmsysteme zum Blinken brachte. Er wollte doch jetzt nicht Ungesagtes sagen?
    Aber nein. Schon wendeten wir am Feldrain und hie l ten am Bordstein der Sackgasse, die Louise-Aston-Straße hieß und von Einfamilienhäusern gesäumt wurde, über deren kleine grüne Hecken man direkt in die Sandkästen und Kaffeetassen auf Terrassentischen blicken konnte. Richard langte über meine Knie ins Handschuhfach, zog ein gefaltetes Blatt Papier heraus und stieg aus. Ich ließ Cipión von der Leine, damit er irgendwo sein Bein heben und ich in Ruhe mit dem Erdbeerkuchen aussteigen konnte.

26
     
    »Bei Mondaufgang wird sich das Weltraumschiff ins All erheben.« Frau im Mond, Ufa-Film, Fritz Lang, 1929
     
    Diana und Juana sandelten hinter einer Hecke. Luca st o cherte mit dem Schwert im Sand.
    »Hallo, Diana, hallo, Juana!«, rief ich.
    »Und du musst Luca sein«, bemerkte Richard.
    Die Mädchen schauten verwundert. Der kleine Don Quijote musste den Helm erst eine Weile drehen, bis der Sehschlitz den Blick auf uns freigab.
    » Cipión !«, rief Juana und sprang auf.
    Susanne Veith kam auf schiefen Schlappen aus dem Haus. In ihrer Hand qualmte eine Zigarette. Die kurzen Hosen krumpelten sich im Schritt ihrer Beine. »Ah, Frau Nerz!«, sagte sie ohne Kraft zur Überraschung.
    »Ich habe versucht, Sie anzurufen«, sagte ich.
    »Luca schmeißt mit Sand!«, petzte Diana.
    »Könnt ihr nicht einmal Frieden halten!« Über die He cke hinweg streckte Susanne uns die Hand hin.
    »Weber«, sagte Richard. »Staatsanwaltschaft Stut t gart.«
    Auch das überraschte Susanne nicht. »Wollen Sie zu mir?«
    »Wir haben sogar Kuchen mitgebracht«, sagte ich. Seltsame Idee, auf die Richard da gekommen war.
    Auch Susanne passte der Kuchen nicht ins Konzept. »Dann essen die Kinder wieder nichts zum Abendessen. Luca, jetzt nimm endlich den Helm ab! Und wenn ich noch einmal Geschrei höre, dann wird morgen nichts aus dem Flugplatzfest!«
    Angesichts der Drohung mit erzieherischem Ende aller Träume beim geringsten Vorfall duckten die Kinder sich und zogen mit Cipión in den Garten.
    »Bitte nehmen Sie Platz!«
    Ich stellte den Kuchen auf dem Tisch ab, ohne ihn aus dem Papier zu schälen.
    »Wir stören auch nicht lange«, behauptete Richard.
    »Sie müssen entschuldigen, aber ich weiß derzeit it, wo mir der Kopf steht. Die Versicherungen, der ganze Papierkram …« Der Aschenbecher auf dem Tisch unterm Sonnenschirm war voll, Kinderplastik lag auf der Wiese herum, die so zerrauft war, dass mähen sich nicht mehr gelohnt hätte.
    »Wenn Sie Hilfe brauchen …« , sagte Richard.
    Susanne erinnerte sich eines Lächelns. »Danke, aber mein Vater hilft mir schon. Er arbeitet auf der Bank. Set zen Sie sich doch bitte. Darf ich Ihnen Kaffee anbi e ten?«
    »Bitte bemühen Sie sich nicht«, sagte Richard, zupfte das Cellophanbändchen von seiner frisch gekauften P a ckung und zündete sich eine Zigarette an, räumte ein Quietschentchen von einem Stuhl, setzte sich und drehte sich um. »Na, Luca!«
    Alle kleinen Jungs liebten Richard.
    »Ich wollte Sie noch fragen«, wandte ich mich an Su sanne, »worum Ihr Mann und Gunter Maucher eigen t lich gewettet haben. Damals in der sechsten Klasse.«
    »Ach, das … das weiß ich nicht. Worum wetten Jungs in dem Alter so? Um einen Hamburger, ein Taschenme s ser. Das weiß ich tatsächlich nicht.« Tränen traten in ihre großen Augen. Sie zwinkerte sie ärgerlich weg.
    »Luca«, sagte Richard, »ich brauche deine Hilfe.« Er legte die Zigarette auf dem Rand des Aschenbechers ab, in dem sich Susannes gestauchte Kippen häuften, und entfaltete das Blatt Papier aus seinem Handschuhfach. Der Junge ruckte am Helm, um seinem Sehschlitz die richtige Position zu verleihen.
    »Jetzt nimmt das Ding doch endlich ab!«, keifte S u sanne müde.
    »Oh, das ist gar nicht nötig«, sagte Richard. Kinder weiteten ihm das Herz. Er besaß einen sechsten Sinn für ihre Nöte und Wahrheiten, weil er selbst als Kind in einer völlig fa l schen Welt gelebt hatte. »Willst du mir helfen, Luca?«
    Der Topfhelm wackelte, der Junge nickte.
    »Aber es ist nicht einfach. Ich habe hier ein Bild von deinem Vater. Aber wenn es dich zu traurig

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