Lehmann, Christine
Ingenieur Giovanni Boccetto, der amerikanische Fahrer Bob, sein luxemburgischer Kollege Fred, der pakistanische Unte r offizier Abdul as-Sharif und Gonzo, der Berliner Astr o physiker. Fred hütete einen mit Musik aus den Achtz i gern vollgeprimsten MP3-Player, einen PDA mit Fotos von vereisten Flüssen, Regen und Sonnenuntergängen und eine Digitalkamera. In Giovannis Fach fiel mir ein Döschen Pillen auf, die ihren Charakter nicht verrieten. Ansonsten herrschte Unauffälligkeit . Auf dem Tisch stand ein offener Laptop, der erwachte, als ich die Maus antippte, und eine Reihe Computerspiele vor allem sex u eller Natur anbot.
Das sechste Modul und dritte der USA schloss den Ring und grenzte wieder ans Mädchenpensionat. Hier schliefen die Kurzzeitgäste, der südafrikanische Tourist Eclipse van Wijk, Mohamed bin Salman al-Sibarai’I aus Saudi-Arabien und der Inder. Auch Franco Llacer, den Europaabgeordneten aus Barcelona und Kenner aller Frauenärsche, hatte man sicherlich dort einquartiert.
Aber ich machte die Tür gleich wieder zu, denn auf dem Boden saß der Inder Rakesh Chaturvedi und med i tierte.
28
»Als Izy auf dem Gipfel angekommen war, saß dort die Mondfrau Jasy. Sie sprach zu Izy. Nimm den Stein. Empfange so dein Herrschaftswissen moacaracaua.« L e gende aus dem Tupiguarani, Vorkolumbisch
Van Sung befand sich draußen in der Biosphäre und gärtnerte. Tupac ließ von der Tastatur der Arbeitskonsole ab und vergiftete die Luft um sich herum mit dünnbärt i ger Abneigung.
Ich besann mich auf Konversation. »Und was nimmt man so mit in der Arche Noah, um auf sterilen Mondstaub ein sich selbst erhaltendes Biotop zu bauen?«
Der Indianer lächelte unerwartet offen. »Es kommt darauf an, was für ökologische Dienstleistungen man haben will. Fleisch oder Fisch zum Essen? Obst, Gem ü se? Unsere Neue Erde dient vor allem der Reinhaltung von Luft und Wasser. Und weil wir nicht Gott sind und nicht entscheiden konnten, was die Neue Erde braucht von den dreißigtausend Einzellern, fünfzigtausend Algen, vie r hunderttausend Pilzen und Milliarden von Ba k terien, die in einem Gramm Erde leben, haben wir die Alte Erde mitgenommen.«
Ich muss ihn wohl ziemlich perplex angeschaut haben.
»In unserer Überlieferung gibt es die Alte und die Neue Erde. Unsere Ayvu rapyta besingt die Gründung der Alten Erde, ihren Untergang im großen Regen und die Erschaffung der Neuen Erde und erzählt vom Streben seiner Bewohner nach el aguyje , dem Zustand der Vol l kommenheit. Unsere Neue Erde hier auf dem Mond ist natürlich weit davon entfernt. Die Bienen sterben, die Pflanzen ertrinken, weil die Kapillarkräfte in ihren Wa s seradern stärker sind als auf der Erde. Die Ameisen wi s sen nicht, wann Hochzeitsflug ist. Wir lernen nach und nach, Gott zu spielen. Van Sung hat ein besonderes G e spür dafür. Vielleicht, weil er mehr Demut besitzt als andere. Er weiß, wann der Garten Wind braucht, wann Schatten.«
»Dieser Hanf …«
Tupacs urwalddunkle Augen blitzten. »Hanföl ist sehr gesund.«
»Kaut ihr bei euch in Bolivien eigentlich immer noch Coca blätter ?«
»In viertausend Metern Höhe würdest du das auch tun. Allerdings wird die Wirkung von Coca überschätzt.«
Ich zog Torstens Kinderfoto aus meinem Ärmel und legte es neben die Tastatur.
Tupac zog die Luft durch seine kleinen Zähne. »Wo hast du das her?«
»Ich habe Cyber-Ameisen gesucht.«
»Das sind Torstens Kinder.«
»Die eine sieht indianisch aus, nicht wahr?«
»Ja, sie stammt aus Bolivien.«
»So ein Zufall, nicht?«
»Torsten hat sie adoptiert. Das hat er mir erzählt, als er hörte, wo ich herkomme. Sie ist eine Sirion ó aus dem Amazonasgebiet. Wenn die Sirionós eine bedrohte Tie r art wären, hätte man sie unter Naturschutz gestellt und den Export verboten.« Er legte das Foto zurück neben die Tastatur.
»Es hat in der Ritze seines Betts geklemmt«, sagte ich.
»Ah.«
»Dort, wo du jetzt schläfst.«
»Obwohl wir Indianer in Hängematten schlafen«, e r klärte er mit gebleckten Zähnen, »ziehe ich Bodennähe vor. Und Fensternähe. Und nachdem die untere Koje dann frei war …«
In meinem Hirn gab es einen Knoten. Eine Informat i on aus meiner vorlunaren Zeit wollte sich herauswinden, schaffte es aber nicht. Es war etwas, was Richard in u n serem Leben auf der Alten Erde gesagt hatte, ganz ne be n bei.
»Was war los mit Torsten?«, fragte ich.
Tupac zuckte mit den Schultern.
»Van Sung hat erzählt, dass du glaubst,
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