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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nachtkrater
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Schacht dort gelebt haben, wo man ihn auf Ratten hatte hetzen können.
    Im Wald überholte Richard einen Rennradfahrer, der, über den Lenker geduckt, die Straße hinaufschnaufte.
    »Uns folgt einer«, bemerkte ich.
    Richard blickte in den Rückspiegel. »Nur weil der ebenfalls nach Ratzenried abgebogen ist, folgt er uns noch nicht.«
    Jockei alias Joachim Rees wohnte, wenn er nicht auf Reisen war und Gelder sammelte, im Schloss von Ra t zenried, einer verwinkelten Anlage mit Turm und Tre p pengiebel, die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts noch zu den schönsten Burgruinen Württembergs gehört hatte, wie Richard mich wissen ließ. Dann hatte man die Ruine im mittelalterlichen Stil hergerichtet und ihr einen Zi n nenkranz verpasst. Vor zwanzig Jahren hatte sich Jockei erneut an eine Sanierung gemacht und das Gemäuer weiß erstrahlen lassen. Drum herum dörfelte ein Ort mit Ne be n erwerbshöfen, Läden und Gaststätten für den Wa n der- und Radtourismus.
    Richard stieß das gusseiserne Tor auf.
    Wie überall in dieser Gegend standen auf der noblen Eichentür unter den Wappen einstiger Herrschaften die geheimnisvollen Kreidezeichen »20*C+M+B+07«. Sie wurden jedes Jahr zum Dreikönigstag von einer Kinde r gruppe mit Pappkronen und goldenen Sternen auf Stäben zum Dank für eine Spende und das Ertragen eines Lieds an die Türen geschrieben.
    Eine Hausperle gesetzteren Alters hielt uns oben an der Treppe die Tür auf. Cipións Krallen kratzten übers Parkett, weil er wieder einmal ohne Sinn und Verstand Richtung Küche zerrte. Die Perle runzelte die Nase und öffnete uns eine Tür zum Salon.
    »Wenn Sie bitte einen Moment Platz nehmen wollen.«
    Ehrwürdige Dielen knarzten unter Richards Slippern und meinen Sporttretern, polierte Schränke mit Drech se l werk standen an den Wänden unterm Stuck, von einer Gipsrosette hing in Ketten ein Eisenkranz mit Leuchten herab. Wir versanken in dunkelroten Samtpolstern mit Troddeln. Durch die arg butzenscheibigen Fenster fiel vom sonnigen Tag ein gelblicher Rest herein, der mich augenblicklich in Müdigkeit verpackte.
    Doch kaum waren wir versunken, sprang Richard auch schon wieder auf die Füße. Die Tür hatte sich g e öffnet und herein trat eine pfiffige runde Person mit fli e gendem weißem Haar und Belesenheit in den Brillen, von denen sie eine auf der Nase und die andere an einem Band auf dem Busen trug.
    »Frau Rees!«, sagte Richard.
    Es gelang ihr, seine Autorität zu umrunden und zuerst mir die Hand zu reichen.
    Ich sprang auf, überlegte, ob ich knicksen oder ihr die Hand küssen musste, und verwarf beides. »Lisa Nerz.«
    »Cecilie Rees.« Sie lächelte über beide Backen. »Pfü ’ Gott. Und Sie sind Dr. Weber, der famose Oberstaat s an walt, der sich um den Mond kümmert? Mein Mann hält große Stücke auf Sie.«
    »Gnädige Frau«, antwortete Richard ungnädig, denn er war nach eigener Einschätzung über den Sozialstatus hinaus, da es ihm gefiel, gelobt zu werden, und beugte sich zu einem angedeuteten Handkuss.
    Frau Rees lachte. »Sie wollen sicher zu meinem Mann.«
    »Wenn es nicht zu viele Umstände macht.«
    »Es geht ihm heute nicht besonders. Das Herz, Sie wissen ja! Und bei der Frühjahrshitz! Unnatürlich ist das! Aber zum Abendbrot wollte er herunterkommen. Wenn Sie etwas trinken möchten, Soda, Whiskey, Cognac? Bi t te bedienen Sie sich.« Sie wandte ihre glitzernden Äug e lein wieder mir zu. »Und das Hundle? Was für ein netter Ke r le. Wie heißt er denn?«
    Da trat plötzlich Jockei auf krachenden Dielen ein, groß und fleischig und keuchend. »Ah, Richard! Pfü ’ Gott! Welche Freude, dass du endlich einmal hier heraus gefunden hast!« Er nahm Richards Hand in beide Hände. »Und die Frau … äh … hast du auch mitgebracht. Na, gefällt euch das Schloss? Ihr bleibt doch zum Abende s sen? Ihr könnt auch übernachten.«
    Frau Rees nickte. »Kein Problem. Ich sollte es nur wissen, dann kann ich noch die Betten beziehen lassen.«
    Sie schauten uns erwartungsvoll an, zwei alte Leute voll Sehnsucht nach neuen Anknüpfungspunkten für die alten Gespräche und Anekdoten, hungrig nach Jugend in der Stille ihres ländlichen und ehelichen Alltags. Und Richard, der Wahnsinnige, überlegte tatsächlich. Ich funkte NEIN mit meinen Blicken, und er sagte: »Aber nur, wenn es wirklich keine Umstände macht. Und zum Nachtisch haben wir Erdbeerkuchen mitgebracht. Das heißt, eigentlich hatten wir ihn für … aber das ist eine lange Geschichte.«
    Cecilie Rees

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