Lehmann, Christine
Frühsommerhitze. »Graf-Zeppelin-Birke«, stand auf dem in den Boden gepflanzten Schild. »Gestiftet von Achim Linder am 17. Jan. 2006 anlässlich des Gedächtnislaufs von Fischreute nach Friedrichsh a fen.«
Was es nicht alles gab!
Ein Hubschrauber knatterte durch den Himmel. R i chard kam hinter dem Denkmal hervor, überquerte den Weg, beugte sich über das Stifterschild, fuhr mit dem Finger die Kanten entlang und linste zwischen das Blech und die Gummiplatte, mit der zusammen das Schild an den Stä n dern verschraubt war.
»Was suchst ’ n eigentlich ?«
»Den Grund, warum Torsten ein Foto mit seinen Ki n dern vor diesem Denkmal mit ins All genommen hat. Von Gunter weiß ich, dass Torsten seinem Sohn gerne Rätsel aufgegeben hat, meistens kryptologische. Reizt dich der Gedanke nicht, Lisa? Geheimbotschaften, das ist doch was für euch Journalisten.«
Sein Ding war es offenbar nicht. Deshalb zündete er sich eine Zigarette an.
»Und sonst?«, erkundigte ich mich. »Was hat Gunter sonst noch so erzählt gestern Nacht?«
»Nun ja« Richard linste zu mir herüber. »Er war es, der bei den Veiths eingebrochen ist und den Computer und die Datenträger mitgenommen hat.«
»Was? Und das sagst du mir erst jetzt?«
Richard schmunzelte. Das machte ihm richtig Spaß. Ich verstand.
»Und warum?«
»Weil Gunter der Meinung war, dass Torsten wide r rechtlich Firmeninterna auf seinem Rechner gespeichert hatte.«
»Und hatte er?«
»Nein, sagt Gunter.«
»Hätte er dann nicht einfach Susanne fragen können, statt ihr so einen Schrecken einzujagen?«
»Einfach?« Richard schüttelte weise den Kopf. »Was ist schon einfach, Lisa.«
Sehr wahr!
»Gunter hat mir das so erklärt: Er habe Susanne nicht fragen wollen, denn sie hätte vermutlich erst Torsten fra gen wollen, bevor sie ihm Zugang zum Computer g e währt, und Torsten hätte dem nicht zugestimmt, und dann hätte er sich den Computer doch holen müssen, und dann hätte Susanne sofort gewusst, dass er es war.«
»Logisch.«
»Außerdem habe die Zeit gedrängt, sagt Gunter. Da habe es einen äußerst befremdlichen Anruf von Torsten bei Jockei gegeben, zwei Wochen vor Torstens Tod. Er hatte ihn vom Kontrollzentrum nach Ratzenried legen lassen. Als Privatgespräch. In so einem Fall darf es im GSOC Oberpfaffenhofen nicht mitgeschnitten werden.«
»Und worum ging es?«
»Jockei hat das so ausgedrückt: Torsten sei nomgschnappt. Er habe erklärt, auf der Artemis gebe es Humanversuche. Er, Torsten, solle systematisch ferti g gemacht werden.«
»Mobbing auf dem Mond!« Ich musste lachen.
»So wie Jockei es schilderte, klang es eher nach Ve r folgungswahn. Er werde unter Drogen gesetzt, soll Tor s ten behauptet haben. Seine Berechnungen und Daten würden vernichtet. Er müsse Vorsichtsmaßnahmen e r greifen. Man wolle ihn töten.«
»Na bitte!«
»Eine Anfrage übers Kontrollzentrum hat keinerlei Hinweise auf solche Vorgänge in der Artemis ergeben, Lisa. Weder in privaten E-Mails der Astronauten noch in den Audioprotokollen hätten sich, so die Auskünfte, A n deutungen über schwerwiegende zwischenmenschliche Konflikte gefunden. Man beschloss, Torsten Veith zu seinem eigenen Schutz vorzeitig zurückzurufen. Er sollte mit dem STS-213 zurückkommen, das nächste Woche gegen das STS-214 ausgetauscht wird. Zwei Tage nac h dem man ihm die Entscheidung mitgeteilt hatte, war er tot.«
»Und da wagt Gunter es noch, von einem Unfall zu sprechen?«
Richard schnippte die Kippe auf den Asphalt und ze r quetschte sie unter der Schuhsohle. »Ein Unfall ist für die Witwe meist leichter zu verkraften als Selbstmord.«
»Und für den alten Schulfreund auch. Es erspart ihm die Schuldfrage.«
Richard zog die Brauen hoch. »Inwiefern hätte Gunter Schuld an Torstens Tod! Wo steckt eigentlich Cipión schon wieder?« Er ließ den Blick übers Maisfeld schwe i fen. » Cipión !«
Und schon hatte er den Weg überquert und war hinter dem Zeppelindenkmal verschwunden. Dort buddelte C i pión in einem Loch am Sockel, aus dem ein Feldstein gefallen war.
Richard ging in die Hocke. Erde und Steine prasselten ihm gegen die Hosenbeine. Er stützte sich mit der Hand am Denkmal ab, das der rückwärtigen Inschrift zufolge von einem gewissen Dittus 1918 entworfen und von e i nem Th. Maute ausgeführt worden war – Informationen, welche die Menschheit unbedingt brauchte, um fortz u bestehen –, und zog Cipión am Halsband aus dem Loch. Erdkrümel rieselten dem Dackel aus dem Bart,
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