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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nachtkrater
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nacheinander die Brauen hoch. »Es gibt in meinem Land kein Gesetz, das es Frauen verbietet, Auto zu fahren. Sie müssen nur von einem männlichen Verwandten begleitet werden.«
    »Und wie macht ihr das mit euren Gebeten hier oben? Wohin wendet ihr euch, wenn ihr euch gen Mekka we n den müsst?«
    »Zur Erde.«
    »Und wenn die Sonne niemals oben steht noch unte r geht, wann sind dann eure Gebetszeiten? Tust du dich da eigentlich mit dem Pakistani zusammen?«
    »Ich gehöre zum Ahl al-Sunna wa- l -Jama ’ ah, zum Volk der Tradition und Versammlung.« Mohamed blic k te in unsere offenmäulige Runde. »Ich bin Sunnit. Abdul ist Schiit.«
    »Dass ihr Moslems euch auch noch gegenseitig a b metzelt, ist eigentlich das Barbarische«, sagte Franco.
    »Gab es zwischen den christlichen Richtungen ni e mals blutigen Krieg?«
    »Das war im Mittelalter«, krakeelte der Spanier. »Was euch Moslems fehlt, ist die Aufklärung.«
    »Kinder, Kinder!«, stöhnte Eclipse. »Hört euch mal zu! Ist das nicht ein Wunder, dass wir auf dem Mond sind? Friedlich alle miteinander, Russen, Chinesen, Amerik a ner. In meiner Jugend herrschte bei uns noch Apartheit. U n vorstellbar, dass ein Schwarzer ein Raumschiff b e steigt.«
    Schwarz war er nun gerade nicht, aber wenn es ihm half, sich so zu sehen.
    »Nach welchen Kriterien wählen sie eigentlich euch Journalisten aus?«, fragte Pjotr, der seine Blicke kaum von mir lassen konnte.
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Bei uns haben die Kosmonauten drei Jahre zusa m mengelebt, samt ihren Familien, bevor man sie für ein halbes Jahr zur Mir hochgeschickt hat.«
    »Kennt ihr das Weltraumspiel?«, fragte Eclipse frö h lich dazwischen. »Die NASA hat es in den Siebzigern entwickelt. Es ist ein Planspiel und Rollenspiel. Es geht folgendermaßen: Ein Raumschiff hat eine Bruchlandung auf dem Mond hingelegt. Das Mutterschiff ist zweihu n dert Meilen entfernt. Die Bruchlandung hat alles zerstört, nur fünfzehn Gegenstände kann man noch gebrauchen. So was wie ein Magnetkompass, Sauerstoff, Wasser, eine Mondkarte, ein aufblasbares Schlauchboot und so weiter. Die Gruppe muss nun festlegen, welche Gegenstände notwendig sind, um lebend zum Mutterschiff zu gela n gen. Erstens, zweitens, drittens und so weiter.«
    »Der Kompass schon mal nicht«, sagte Pjotr. »Auf dem Mond gibt es kein Magnetfeld.«
    »Wollen wir es spielen, ja?«, eiferte Eclipse. »Das wird bestimmt lustig!«
    »Das Wasser«, sagte Franco. »Das muss an eins.«
    »Quatsch, der Sauerstoff!«, rief Pjotr.
    Yanqiu brachte die Kiste mit Fresspaketen. Ich sprang auf, um ihr zu helfen. Aber sie hatte die Kiste mit den silbrigen thermostabilisierten und gefriergetrockneten Päckchen, Müsliriegeln, Nüssen und Trockenfrüchten bereits im Geviert der Kombüse abgestellt. Der Bedarf des Menschen an Kohlehydraten, Eiweiß und Fett bemaß sich auf kaum 250 Gramm pro Tag. Faserstoffe brauchte man eigentlich gar nicht, hatte die jüngste Forschung festgestellt. Weg mit den Ballaststoffen. Das Wasser brachte unser Essen aufs nötige Volumen und Gewicht, damit man auch das Gefühl hatte, was im Magen zu h a ben. Die Mahlzeiten wurden, wie ich auf dem Etikett sah, in Italien eingedampft.
    »Ich helf dir nachher mit der Spülmaschine«, raunte ich Yanqiu ins Ohr.
    Sie wich dem Gebläse meines Kaffeeatems aus. »Lass mal. Ich müsste dir erst alles erklären.« Und schon hatte es sie aus der Kombüse geweht und sie war verschwu n den.
    Wie meine Mutter! »Eh ich dir alles erklär, hab ich ’ s dreimal getan.« Bei gewissen Gelegenheiten familiärer Abrechnungen hatte sie unter Kullertränen beklagt, sie tue und mache und putze und koche und stehe den ga n zen heiligen Sonntag in der Küche und keiner danke es ihr und das Fräulein Tochter sei sich zu schade, mal mit anzupacken in der Küche. Den Systemwiderspruch hatte ich mit Taubheit erwidert. Abhilfe war nicht möglich. Meine Immunität gegen verzwickte Signale hatte meiner Beziehung zu Elke – über zehn Jahre war das jetzt her und längst ins Sediment meiner Erinnerungen an die er s te Zeit in Stuttgart gesickert – ein Ende gemacht, mit kre i schend gestellter Egoismusdiagnose. Ein Vorwurf, den mir Richard nie gemacht hatte.
    Aber mit Yanqiu ließ sich vielleicht doch noch was klären. Ich stürzte den Niedergang hinunter. Am Trep pe n fuß im verschmort und konzentriert riechenden daue r brummenden Bereich des payload Service, wo die ko m merziellen Experimente in genormten Einheiten in den Wänden

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