Leichenroulette - Roman
alle Aussichten auf Karriere und Erfolg gegen ein bequemes Leben mit sicherem Gehalt und Pensionsberechtigung eingetauscht hatte, startete eine flüchtige, oberflächliche Routineuntersuchung der Leiche auf Spuren von Gewaltanwendung und Blutergüssen. Er ließ auch die Fingernägel nicht außer Acht. Du wirst nichts finden, beruhigte ich mich, als kurze Panik in mir aufstieg, obwohl von Fremdverschulden oder gar Mord nie die Rede war. »Ja, wo warn denn Sie gestern Abend bei dem Unglück?«, fragte er mich schließlich. Ich nickte tapfer und gab zu Protokoll, was ich mir genau zurechtgelegt hatte: »Ich habe an dem fraglichen Abend meine Freundin Mizzi, das heißt Frau Eva Maria Horvath, in Hietzing in der Auhofstraße 36 besucht. Als ich gegen zehn Uhr abends heimgekommen bin, war es im Erdgeschoss bereits ruhig und finster. Ich habe angenommen, dass mein Mann, der seit seinem schweren Unfall im Wohnzimmer schläft, bereits zu Bett gegangen war. Ich wollte ihn nicht stören, duschte kurz in dem kleinen Bad im ersten Stock und hab mich dann hingelegt. Am Morgen, ja am Morgen die grässliche Entdeckung! Ich habe versucht, ihn aus dem Wasser zu ziehen, aber er war kalt, ganz kalt!« – »In Ihrer Abwesenheit hätte jemand ins Haus eindringen können. Haben’s Spuren von Einbrechern bemerkt?« – »Nein, nein, gar nichts. Alles war wie immer.«
Hier endete mein Bericht in hysterischem Schluchzen. Mit meinem Zusammenbruch gewann ich, wie ich fühlte, das Mitleid des beamteten Arztes. »Was für ein schrecklicher, ungewöhnlicher Unfall!« – »Die arme Frau, was muss sie unter dem Säufer gelitten haben«, murmelte einer der Sanitäter leise. »Ja, der Alkohol is bei uns scho a Volksseuche.« Ein wenig ent täuschte mich allerdings, dass niemand die im täglichen Leben etwas lächerliche Standardfrage aller Krimis an mich stellte: »Wissen Sie, ob Ihr Mann Feinde hatte?« Weder Feinde noch Freunde, ging es mir durch den Kopf. Er war einfach eine Null. Niemand nahm von ihm so richtig Kenntnis, er ging unauffällig durchs und hoffentlich auch aus dem Leben!
Die Quintessenz des Totenprotokolls sollte schließlich lauten: »Dr. Leopold E. ist bei dem Versuch, trotz Rauschzustands infolge übermäßigen Alkohol konsums und Immobilität infolge Gipsverbänden an den Extremitäten – rechtes Bein, rechter Arm – ein Vollbad zu nehmen, ertrunken. Zur Zeit des Unfalls befand sich der Betreffende, dessen schwere Alkoholsucht amtskundig ist, allein in seinem Einfamilienhaus.«
Nachdem das Offizielle abgehandelt worden war, ließ sich der Totenbeschauer schwer auf einen Korbsessel in der Küche fallen, öffnete umständlich seinen Arztkoffer und entnahm ihm seufzend einige Formulare, die er nach meinen Angaben hin, ausfüllte. »Immer ich hab am Sonntag Dienst«, erklärte er mir seine düstere Miene. »Das da ist die Anzeige des Todes, die brauchen’s für die Eintragung ins Sterbebuch. Und das da ist der Leichenbegleitschein. Den brauchen’s fürs Begräbnis. Geben’s halt einfach alles der Bestattung, die erledigt das für Sie. Was für eine haben’s denn?« Ich gab an, über Bekannte nur Gutes von »Charon« gehört zu haben.
Tatsächlich war mir die »Bestattung Charon« beim Vergleich verschiedener Institute durch ihr umfangreiches Serviceangebot positiv aufgefallen. Dazu zählte die Abholung der Leiche innerhalb von zwei Stunden mittels Holzsarges, wie es auch im Fall des Dr. Leopold E. geschah.
Zu diesem Zeitpunkt war Mizzi auf meinen Anruf hin herbeigeeilt, um mir beizustehen. Aufgeregt erzählte sie den herumstehenden Anwesenden von meinem Besuch am Abend des Vortages. Ungefragt und wahrheitswidrig meinte sie: »Sie hat ihn so gern g’habt. Jetzt ist sie ganz allein. Eine Tragik!« Womit sie mir einen großen Gefallen erwies.
Tags darauf erschien ein in schwarzes Tuch gekleideter Herr von »Charon« bei mir. Ich beobachtete ihn, wie er gemessenen Schritts mit Trauermiene durch unseren – pardon – meinen Vorgarten schritt. Er verbreitete jene »beruhigende Atmosphäre«, die seine Firma anpries, und ich passte meine fröhliche Physiognomie hastig den Umständen an. Tieftraurig schluchzend kochte ich dem Besucher Kaffee, während dieser in sanftem Tonfall kluge, gut gewählte »Worte des Trostes, der Zuversicht und der Hoffnung« sprach. Das macht er jeden Tag, muss sich bald auf sein Gemüt schlagen, dachte ich mir.
Nach einer angemessenen Pause begann das Geschäftliche. Der
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