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Lenas Tagebuch

Lenas Tagebuch

Titel: Lenas Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Muchina
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Esslöffel, dann setzten wir uns an einen langen Tisch. Jeder bekam ein Stück Roggenbrot und eine Suppe in einem kleinen Tontopf. Der Rassolnik war ziemlich dick, mit Buchweizengrütze.
    Ich aß alles Flüssige und hatte gerade angefangen, den Bodensatz in mein Glas umzufüllen, als der Strom ausfiel. In der Dunkelheit konnte ich den ganzen Bodensatz sauber umfüllen und nutzte die Dunkelheit, um den ganzen Tontopf mit den Fingern komplett auszulecken. Danach saßen wir eine Stunde im Dunkeln. Ich hatte schon mein ganzes Stück Brot aufgegessen und begann einzuschlummern, als schließlich Licht ­gebracht wurde.
    Das Hauptgericht wurde aufgetragen. Auf einem kleinen Tellerchen lagen eine ziemlich große Fleischfrikadelle mit höchstens zwei Esslöffeln Buchweizengrütze mit Soße. Das Hauptgericht war völlig kalt. Ich füllte alles in dasselbe Glas um und leckte die Soße mit dem Finger sorgfältig vom Teller.
    Als Nachtisch bekamen wir auf einer Untertasse Gelee aus Sojamilch. Eine sehr unappetitliche Speise! Ich packte es in ein anderes Glas. Mehr bekamen wir nicht. Ich dachte, man würde uns, na ja, wenigstens jedem ein Stück Konfekt oder einen Keks geben. Aber nein, mehr gab es nicht. Es war Viertel nach sechs, als wir das Essen beendeten. Ich eilte nach Hause, denn zu Hause wartete eine hungrige Mama auf mich, denn wir hatten beschlossen, dass wir an dem Tag zu Mittag essen würden, was ich aus dem Theater mitbringe. Ich hatte angenommen, ich würde nicht später als vier Uhr zu Hause sein, ich kam aber erst um halb sieben nach Hause. Ich rannte also, ich spürte gar nicht meine Beine. Als ich ankam, machten wir sofort aus allem, was ich mitgebracht hatte, eine Suppe, das ergab für jede von uns zwei Teller, und das Gelee teilten wir. Dann saßen wir am Ofen, wärmten uns und gingen schlafen.
    So verlief dieser Tag, von dem ich noch letztes Jahr geträumt hatte, als wir zum ersten Mal erfuhren, dass es ein Jolkafest mit Essen geben werde. Ich hatte mit solcher Ungeduld auf diesen Tag gewartet. Ich glaubte, man würde uns mit einem richtigen Festessen bewirten und dann noch etwas Leckeres geben.
    In irgendeinem anderen Theater, so hörte ich, gab es zu einer Jolka für die siebente Klasse: Fleischsuppe mit Linsen, einen Nudelauflauf, Gelee und als Leckerei ein Stück Schokolade, Lebkuchen, zwei Kekse und drei Stück Sojakonfekt.
    Ich weiß bloß nicht, ob es stimmt oder ob es ein Märchen ist. Wahrscheinlich Quatsch.
    10. Januar 1942
    Die erste Dekade ist zu Ende. Aber die Geschäfte sind noch immer leer. Die Leute haben ihre Lebensmittel für die zweite und dritte Dekade des letzten Jahres noch nicht erhalten.
    Wir werden von Tag zu Tag schwächer. Mama und ich bemühen uns, möglichst wenig Energie zu verbrauchen, wir sitzen und liegen viel. Es ist sehr gut, dass wir noch keine Schule haben. Jetzt kannst du nicht auch noch lernen, wo das Leben in dir kaum noch glimmt.
    Unsere Schulferien sind bis zum 15. verlängert, aber es heißt, dass sie noch weiter verlängert werden. Ich weiß nicht, warum das geschieht, aber so oder so passt es sehr gut.
    Ich mache mir große Sorgen um Mama. Wie muss sie sich erst fühlen, wenn ich schon anfange, vor Schwäche zu wanken. Schon völlig, ich übertreibe nicht: Wenn ich lange sitze und dann aufstehen will, muss ich meine Muskeln sehr anstrengen, um überhaupt aufzustehen. Und wenn du aus dem Bett auf den Nachttopf willst, knicken die Beine weg. Draußen bemühe ich mich, schnell zu gehen und die nötige Entfernung in einem Zug zurückzulegen, denn wenn man die Schritte verlangsamt, beginnt man zu stolpern.
    Zu allem Übel herrscht die ganze Zeit Frost. Es ist gar nicht so sehr kalt, aber in diesem Winter frieren wir irgendwie besonders stark. Es ist kein starker Frost draußen, aber wir frieren, als wären es minus 40 Grad. Auch hier wirkt sich der Mangel an Essen aus, die systematische Unterernährung, die äußerste Erschöpfung. Mehr als einen Monat kann das nicht so weitergehen. Eins von beidem – entweder bekommen wir zu essen, oder wir werden alle verrecken.
    Und das ist interessant, denn man kann nicht behaupten, dass wir hungern würden. Nein, Mama und ich fühlen uns oft, wenn wir uns schlafen legen, ganz und gar satt. Doch unser Organismus erhält schon lange nicht mehr die nötige Nahrung wie Fett und Zucker, und dabei sind beide unabdingbar. Wir bekommen Nahrung, unser Magen ist voll, daher auch das trügerische Gefühl der Sättigung, aber von dieser

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