Lenz, Siegfried
ausgestreckter Hand auf etwas zeigten, das sie wiedererkannten. Auch der Minister stand so, der uns an einem Sonntagnachmittag besuchte, auch er beschattete seine Augen und erklärte den Leuten, die ihn begleiteten, was er in der Ferne erkannte.
Mir macht das Warten nichts aus, aber die andern, die werden schon ungeduldig, wenn sie nur eine halbe Stunde warten müssen, Joachim vor allem, der damals immer wieder auf die Terrasse hinaufsprang und von dort aus die Chaussee mit seinem Fernglas absuchte, so lange, bis er die beiden schwarzen Autos entdeckte. Sie kamen über den Hauptweg herauf, und der Minister stieg als erster aus und gab jedem die Hand, aus Versehen gab er auch Ewaldsen die Hand, der eine Last Fichtenreisig abgesetzt hatte und nur zuguckte, und dann schaute er, den der Chef einen großen Gartenfreund genannt hatte, über unsere Quartiere und nickte anerkennend und erklärte da etwas seinen Begleitern. Der Minister, der ein Gartenfreund war, hatte ein junges Gesicht und weißgraues Haar mit gelblichen Strähnen drin, seine Hände waren warm und fleischig, an einem Finger trug er einen klobigen Siegelring mit blaßblauem Wappen; sein kleiner Mund war immer ein wenig geöffnet, gerade so, als wunderte er sich über etwas. Daß er gebeugt ging, kam sicher von seiner Körpergröße, er überragte alle und mußte sich zu jedem, zu dem er sprach, hinabneigen, und er ließ es sich nicht nehmen, mit jedem in seiner Nähe zu sprechen. Mich fragte er nach meiner Lieblingsbeschäftigung, und ich sagte: Blautannen stäben, da nickte er mir so überrascht zu, als ob dies auch seine Lieblingsbeschäftigung sei.
Den Chef kannte er wohl von irgendwoher, denn er nahm ihn vertraulich am Arm und sagte mit einem Blick auf die Festung: Ein schönes Zuhause haben Sie sich geschaffen, lieber Zeller, und einmal sagte er auch: Man hört sehr viel Gutes über Ihre Arbeit, mitunter sogar Wunderdinge. Der Chef sagte darauf achselzuckend: Keiner entgeht dem Gerücht, Herr Minister; mehr sagte er nicht. An Dorotheas gedeckten Kaffeetisch wollten sie sich später setzen, nach der Besichtigung, nach dem Umgang, erst einmal wünschte der Minister etwas zu sehen, und er und der Chef gingen voraus, und ich ging einfach mit zwischen den Leuten, die der Minister mitgebracht hatte.
Es waren stumme, freundliche Leute, bis auf einen, bis auf den Mageren, der dunkelblau gekleidet war und immer nur hin- und herwieselte in nervöser Bereitschaft, nichts durfte ihm entgehen, kein Ministerwort, kein Ministerwunsch, er mußte wohl alles mitbekommen, nur um dem Minister zustimmen zu können. Daß ich mitging im Gefolge, paßte ihm bestimmt nicht, oft genug musterte er mich scheel von der Seite, doch weil der Chef mich duldete und mich ein paarmal aufforderte, bei den Kulturkästen und beim Folientunnel mit anzufassen, wagte er nicht, mich irgendwas zu fragen.
Er hätte gut und gern bei uns eine Arbeit annehmen können, der Minister, er wußte sehr gut Bescheid: daß Pappelsorten kaum gefragt waren, wußte er, daß Forstgehölze leicht anzogen und am besten Obst- und Ziergehölze gingen, wußte er – worüber sie auch sprachen und wovor sie auch stehenblieben, der Minister konnte bei allem mitreden. Einmal widersprach er sogar dem Chef, das war, als sie sich über Veredelungsunterlagen für Flieder austauschten, der Chef meinte, daß die besten Unterlagen zwei Jahre im Saatbeet stehen müßten, weil sie in dieser Zeit zuverlässig Augen annehmen, der Minister hingegen wollte nichts auf verpflanzte Wildlinge kommen lassen, obwohl bei denen der Wurzelstock ziemlich verhärtet ist.
Was der alles fand und aufhob und betrachtete – die leichten Flügel von Käfern, eine Heuschrecke, die ganz vertrocknet war, ein Haarbüschel aus einem Hasenfell, Schoten und Rispen und das Skelett eines sehr kleinen Vogels –, alles nahm er auf und hielt es sich unter die Augen. In unserer Anzucht von Johannis- und Stachelbeeren bat er den Chef um eine Erklärung, er wollte von ihm wissen, wer wohl die Pflanze zum Blühen bringt, und der Chef sagte: Das Blatt natürlich, die Zeit des Blühens wird vom Blatt bestimmt, und als der Minister ihn darauf nur fragend ansah, erzählte ihm der Chef, was er mir längst erzählt hatte: daß im Blatt eine Pflanzenuhr steckt, die die Länge der aufeinanderfolgenden Tage und Nächte mißt, und wenn sie einmal ausgemessen hat, daß die Tageslänge günstig fürs Blühen ist, dann gibt sie eben die Anweisung dazu. Mit so einem
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