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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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erwarte sie eine ungezwungenere Atmosphäre und eine schlichtere Speisekarte. »Und niedrigere Preise!«, versprach Arnaud, während er Hände schüttelte und Wangenküsse verteilte. Wenn das Restaurant wieder öffnete, würde es sogar einen anderen
Namen
haben.
    »Kein Patrice mehr«, verkündete Arnaud und schwebte von Tisch zu Tisch. »Den neuen Namen vergisst man nicht so leicht. Er hat
Biss,
finde ich!«
    »Das neue Restaurant heißt
Biss?«,
fragte Ketchum den Franzosen misstrauisch. Der alte Holzfäller wurde immer schwerhöriger, besonders auf dem rechten Ohr, und Arnaud stand auf Ketchums rechter Seite. (An diesem Abend war es laut und der Laden proppenvoll.)
    Zu viele Gewehrschüsse, dachte Danny Angel. Ketchum war, wie er es nannte, »schusstaub«, doch der Schriftsteller wusste, dass Ketchum auf
beiden
Ohren motorsägentaub war. Es wäre wahrscheinlich egal gewesen, in welches Ohr Patrice gesprochen hätte.
    »Nein, nein - es heißt nicht Biss, sondern
Kiss of the Wolf!«,
rief Arnaud laut genug, dass Ketchum den Namen mitbekam.
    Danny und der Holzfäller hatten einen Zweiertisch am Fenster mit Blick auf die Yonge Street - beziehungsweise auf das, was oberhalb der Milchglasscheibe davon zu sehen war. Als der Restaurantbesitzer zum Nachbartisch entschwebt war, musterte Ketchum Danny durchdringend. »Ich hab gehört, was der Froschfresser gesagt hat«, begann der alte Flößer. »Ein verdammter Wolfskuss! Scheiße auch - klingt wie ein Name, den sich nur ein
Schriftsteller
ausdenken konnte.«
    »Ich war's nicht«, entgegnete Danny. »Es war Silvestros Idee, und Patrice hat sie gefallen. Dad hatte auch nichts damit zu tun.«
    »Haufenweise Elchscheiße«, stellte Ketchum lakonisch fest. »Ihr Kerle führt euch auf, als
wolltet
ihr gefasst werden!«
    »Niemand findet uns wegen des Restaurantnamens«, sagte Danny »Sei nicht albern, Ketchum. Der bringt den Cowboy nicht auf unsere Spur.«
    »Carl sucht euch immer noch - mehr sag ich dazu nicht, Danny. Ich hab keine Ahnung, warum ihr dem Cowboy helfen wollt, euch zu finden.«
    Danny schwieg; er fand es abwegig, dass Carl jemals Kiss of the Wolf mit dem Namen Baciagalupo in Verbindung bringen könnte. Der Hilfssheriff im Ruhestand sprach kein Italienisch!
    »Ich habe Wölfe gesehen. Und ihre Beute auch«, sagte der alte Waldarbeiter zu Danny. »Ich verrate dir jetzt mal, wie ein Wolfskuss aussieht: Ein Wolf reißt dir die Kehle auf. Wenn ein Rudel dich oder ein anderes Viech verfolgt, bringen sie dich immer irgendwie dazu, dass du dich ihnen zuwendest, und einer ist immer dabei, der dir schließlich die Kehle aufreißt - darauf haben sie's abgesehen, auf die Kehle. Wolfsküsse sind alles andere als schön!«
    »Was möchtest du essen?«, fragte Danny, um das Thema zu wechseln.
    »Ich bin hin- und hergerissen«, antwortete Ketchum. Er hatte eine Lesebrille auf - ausgerechnet! -, doch die ließ ihn nicht wie einen Gelehrten aussehen. Die Narbe von der gusseisernen Pfanne war zu markant, sein Bart zu buschig. Das karierte Hemd und die Fleeceweste sahen zu sehr nach Twisted River aus, als dass Ketchum auch nur einen Hauch von städtischem Flair an sich gehabt hätte - von gehobener Gastronomie ganz zu schweigen. »Ich dachte an die gegrillten Lammkoteletts nach französischer Art oder die Kalbsleber mit Yukon-Frites«, sagte er. »Was zum Henker sind Yukon-Frites?«
    »Große Kartoffeln«, antwortete Danny. »Kartoffeln der Sorte Yukon Gold, in dicke Stücke geschnitten.«
    »Auch das
Côte de boeuf
stach mir ins Auge«, sagte der Holzfäller.
    »Das
Côte de boeuf
ist für zwei«, klärte ihn Danny auf.
    »Genau darum isses mir aufgefallen«, sagte Ketchum. Er hatte mit Steam Whistle vom Fass angefangen, war dann aber auf Alexander Keith aus der Flasche umgestiegen; das Ale haute ein wenig mehr rein. »Heiliger Dünnschiss!«, rief Ketchum plötzlich. »Hier gibt's einen Wein für hundertachtundsechzig Dollar!«
    Danny sah, dass es ein Barolo Massolino aus dem Piemont war. »Den nehmen wir«, sagte er. »Wenn du zahlst«, meinte Ketchum.
     
    In der Küche ging es wie üblich drunter und drüber. Der Koch half Scott bei den Profiteroles, die mit Karamelleis und einer Bitterschokoladensauce serviert wurden; außerdem bereitete Dominic die Croutons und die Rouille für Joyce und Kristines Fischsuppe zu. Davor war der Koch mit den Tagliatelle zu den Kalbsscaloppine beschäftigt gewesen, und heute Abend wurde zu der Pasta auch Silvestros Entenconfit gereicht. Doch die

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