Letzter Mann im Turm - Roman
Verfügungsgewalt über Ihre Wohnung. Ihnen gehören Anteile an dieser Wohnungsgenossenschaft. Wenn die Genossenschaft beschließt, Ihre Wohnung zu verkaufen, haben Sie nicht das Recht, die Zustimmung zu verweigern. Was diese Sache anbelangt …» Er wandte sich ab und räusperte sich. Der Sohn oder Assistent trug vor: «Dhiraj T. Kantaria und andere gegen die Stadtverwaltung Mumbai 2001 (3), Bom. C.R. 664; 2002 (5) Mh. L.J. 779; 2004 (6) LJSoft 42.»
Der Anwalt wischte sich die Lippen. «Genau.»
«Aber Mofa …», murmelte Masterji. «Mofa?»
Der Anwalt fuhr sich mit der Hand über die drei Silbersträhnen. «Der Name Mofa sollte nicht leichtfertig in den Mund genommen werden. Es ist ein wichtiges Gesetz.» Er schüttelte den Kopf. «Sie haben dreißig Jahre lang Ihre Schüler im Sinne der hinduistischen Ethik unterrichtet. Nun lassen Sie uns beide einmal Ihre Lehrer sein, Masterji. Offen gesagt, verstehen sogar manche Rechtsanwälte, die seit zwanzig, dreißig Jahren in diesem ehrenwerten Beruf tätig sind, Mofa nicht richtig. Der Normalsterbliche ist nicht fähig, die Feinheiten von Mofa zu begreifen. Denn Sie müssen bedenken, wie Mofa sich zu MRDA und der Stadtverhaltung verhält.»
«MHADA», erinnerte ihn der andere. «MHADA.»
«Richtig. In dieser Stadt ist MHADA immer gegenwärtig. Irgendwo im Hintergrund. Manchmal im Vordergrund. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Regierung kurz davor ist, ULCRA außer Kraft zu setzen. Urban Land Ceiling Regulation Act, das Gesetz zur Bauleitplanung. All das muss bedacht werden, ehe wir Mofa erwähnen. Begreifen Sie das? Keine Sorge. Wir begreifen das stellvertretend für Sie.»
Masterji sah nicht nur zwei ihn einschüchternde Rechtsanwälte vor sich, sondern geradezu das Urbild der Autorität.
Habenmich meine Schüler so all die Jahre gesehen?
Unter der niedrigen Decke wurde Masterji beinahe von seinem plötzlichen Verständnis erdrückt. Dieser alte Anwalt mit seinem Medaillon unter dem Hemd und dieser junge Mann, Sohn oder Assistent, waren Geldwechsler im Tempel des Gesetzes. Deshalb hatte Parekh nach der Telefonnummer des Verwalters gefragt; die beiden waren die ganze Zeit über in Kontakt gewesen.
Masterji blickte auf die Fotografie von Angkor Wat und fragte: «Sie haben mit Mr Shah gesprochen? Hinter meinem Rücken?»
«Mr Shah hat zu
mir
Kontakt aufgenommen. Sein Mann ist hierhergekommen, netter tamilischer Kerl, wie hieß er noch gleich? Shatpati? Shodaraja?» Der Anwalt klopfte gegen einen seiner Zähne. «Keine Visitenkarte, aber er hat mir seine Nummer gegeben. Ich kann nachverhandeln. Einen noch besseren Vergleich für Sie herausschlagen.»
«Ich möchte keinen besseren Vergleich.»
«Wir holen den
besten
Vergleich für Sie heraus.»
«Ich möchte
keinen
Vergleich. Ich suche mir einen anderen Rechtsanwalt.»
«Nun, Masterji», Mr Parekh lehnte sich vor, «die anderen werden nach einem Vorschuss fragen, Ihre Zeit verschwenden und Ihnen das Gleiche sagen. Offen gesagt, Sir, ich verstehe nicht, was Sie wollen.»
«Ich sage es Ihnen doch die ganze Zeit:
nichts.»
Ganz plötzlich schien die Klimaanlage nicht mehr zu funktionieren; Mr Parekh wischte sich mit einem Taschentuch über den Nacken.
«Sir, diese Immobilienhaie stürzen sich auf uns ältere Mitbürger. Politiker und Polizisten stehen auf ihren Gehaltslisten, das muss Ihnen doch bekannt sein. Kürzlich haben sie ein Mitglied der Stadtverwaltung erschossen. Am helllichten Tag. Haben Sie das nicht in der Zeitung gelesen? In dieser modernen Welt müssen alte Männer zusammenhalten.»
«Jetzt drohen
Sie
mir auch noch?», fragte Masterji. «Mein eigener Anwalt?»
Mr Parekh nieste in sein Taschentuch und sagte dann: «Ich drohe Ihnen mit der menschlichen Natur, Sir.»
Anstelle von Angkor Wat hinter dem Kopf des Anwalts sah Masterji jetzt das Bild des Obersten Gerichtshofs von Bombay vor sich: ein neogotisches Gebäude mit einem schrägen Dach, alt und wuchtig, das wie ein Briefbeschwerer auf der Stadt hockte und für ihre Bewohner die Macht des Gesetzes symbolisierte. Nun erbebte das Gerichtsgebäude samt Dach, und die robusten gotischen Bögen wurden zu Papierschnipseln, die auf die Schultern eines alten Lehrers herabrieselten. Mofa. MHADA. ULCRA. MSCA. ULFA. Mohamaulfacramrdamama-ma-abrakadabra … Sacht, sacht sank es auf ihn herab, das nutzlose indische Gesetz.
In diesem Augenblick hörte er, wie Mr Parekhs junger Kollege sagte: «Du hast ihm nicht einmal die Pauschalen berechnet, Vater.
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