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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Die ganzen Fotokopien, die wir machen mussten. Du hast ein Gewissen, deshalb. Alle älteren Mitbürger gehören für dich zur Familie.»
    Also ist er doch sein Sohn,
dachte Masterji. Das Wissen darum, das völlig unbedeutend und irrelevant für seinen Fall war, verlieh ihm seltsamerweise trotzdem Kraft. Er stützte die Hände auf die Armlehnen seines Stuhls und stand auf.
    «Jetzt warten Sie mal», sagte der jüngere Parekh, der jetzt merkte, dass der Vogel davonfliegen wollte. «Wenn Sie jetzt einfach so gehen wollen, was ist dann mit unseren ganzen Gebühren? Was ist mit all den Fotokopien für Sie?»
    Beim Hinausgehen hörte er noch die protestierende Stimme des jungen Mannes: «Wir müssen ihn aufhalten, Vater, sofort. Wir müssen ihm hinterherrennen, Vater.»
    Der grüne Eimer fiel um, als Masterji seinen Regenschirm herauszog, und bespritzte seine Knöchel mit Wasser.
    Er ging an den Wachmännern und ihrer blinden Gottheit vorbei,die alte Treppe hinunter, vorbei an der gegen die Lünette flatternde Taube.
Purnima,
betete er,
schwing dich herab und hebe mich empor aus dem Land der lebenden.
    Die Antwort seiner Frau lag im Duft frischer Bratkartoffeln, die er roch, als er aus dem Loyola Trust Building rannte.
    Er blieb vor einem Imbissladen stehen.
    Binnen Sekunden löste sich ein Bällchen frittierten
vada pavs,
Kosten vier Rupien, in Masterjis Bauch auf. Öl, Kartoffel, Cholesterin und Transfette beruhigten seinen aufgewühlten Magen.
    Er wischte sich das peinliche Fett von den Lippen und fand einen Lebensmittelladen, von dem aus er von einem gelben, in Plastik gewickelten öffentlichen Telefonapparat Anrufe machen konnte. Gaurav würde jetzt an seinem Arbeitsplatz sein. Der einzige Ort, an dem der Junge vielleicht nicht unter dem Einfluss seiner Frau stand. Den Schirm unter den Arm geklemmt, rief er Vittal in der Schulbücherei von St. Catherine’s an und fragte nach der Telefonnummer von Gauravs Bank, der Canara Cooperative Society. Mit einer zweiten Rupie rief er die Bank an und fragte nach Mr G. Murthy, dem stellvertretenden Zweigstellenleiter.
    «Ich bin’s. Dein Vater. Ich rufe aus Bandra an. Es ist etwas sehr Schlimmes passiert.»
    Längeres Schweigen. «Was ist los, Vater? Ich muss arbeiten.»
    «Kannst du sprechen? Es ist dringend, Gaurav. Nein, von einem öffentlichen Apparat.
Ich
werde dich noch mal von hier aus anrufen. In zehn Minuten.»
    Er sagte dem Ladenbesitzer, er solle das Telefon für ihn frei halten, rannte zum Imbissladen hinüber und kaufte sich noch ein
vada pav.
    Während er die frittierten Kartoffeln mampfte, ging er zu Parekhs Kanzlei zurück; in einem der Spiegel des Friseurladens erblickte er ein bekanntes, dunkelhäutiges Gesicht.
    Er drehte sich um und sah einen Mann in einem makellosen weißen Hemd direkt vor dem Loyola Trust Building stehen.
    Er starrte Mr Shahs linke Hand an. Die Metallgitter vorm Gebäude ächzten, als Tauben auf ihnen landeten.
    «Mr Masterji.» Shanmugham streckte ihm die Hand entgegen. «Tun Sie sich das nicht an. Das ist die letzte Chance.»
    Masterji erschauerte beim Anblick der Hand. Wortlos entfernte er sich von der Kanzlei seines ehemaligen Anwalts.
    «Nimm dir einen anderen Rechtsanwalt», sagte Gaurav, als sein Vater ihm am Telefon alles erklärt hatte. «Es gibt Tausende davon in dieser Stadt.»
    Masterji fand, dass sich die Stimme seines Sohnes verändert hatte, dass er bereit schien, ihm zuzuhören.
    «Nein», sagte er zu Gaurav. «Es wird nicht funktionieren. Recht und Gesetz werden mir nicht helfen.»
    Er konnte hören, wie die Zunge des Bauherrn in Parekhs Spucke zuckte. Genau wie die Stimmgabel, die er im Unterricht für ein Akustikexperiment benutzt hatte. Korruption war zu Physik geworden; ihre genaue Frequenz hatte Mr Shah entdeckt. Wenn er sich einen anderen Anwalt nähme, würde ihn dieselbe dicke Zunge wieder entsprechend einstimmen.
    «Meine letzte Hoffnung ist Noronha. Bei der
Times of India.
Ich habe ihm einen Brief nach dem anderen geschrieben, aber er antwortet nicht. Wenn man ihn irgendwie erreichen könnte, mein Junge …»
    Wieder Schweigen. Dann sagte Gaurav: «Ich habe Verbindungen zur
Times of India.
Ich gucke mal, ob ich Noronha zu fassen kriege. In der Zwischenzeit gehst du nach Hause, Vater, und verriegelst die Tür. Wenn sich mein Bekannter meldet, rufe ich dich an.»
    «Gaurav», sagte er, und seine Stimme wurde schwer vor Dankbarkeit. «Das mache ich, Gaurav. Ich gehe nach Hause und warte auf deinen Anruf.»
    Eine Kuh

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