Letzter Mann im Turm - Roman
seines Autos oder in einem Aufzug stand und seine Sätze probte. «Alter Mann, du hast jede Chance von uns bekommen, und jetzt bleibt uns nichts anderes mehr übrig …»
Unter Shahs Fingern wurde die Seide warm.
Ein schmutziges Geschäft, das Baugewerbe, und er war durch den schmutzigsten Bereich gewatet und aufgestiegen. Sanierung von Wohngebieten. Wenn man Fisch mag, muss man die eine oder andere Gräte schlucken. Er suchte nicht nach irgendeiner Entschuldigung für die Dinge, die er hatte tun müssen, um dahin zu kommen, wo er jetzt war. Aber so hatte er die Sache mit dem Shanghai nun mal nicht geplant, nicht nachdem er 190.000 Rupien pro Quadratmeter für ein uraltes Gebäude geboten hatte.
Das warme Seidentaschentuch fiel zu Boden.
Über dem Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer hing Rosies Geschenk, das Schwarz-Weiß-Poster des Eiffelturms in seinen diversen Entstehungsphasen. Shah legte die Finger auf den polierten Mahagonitisch und sah wie durch ein Periskop auf das unsichtbare Netzwerk der Finanzen, das labyrinthisch war wie ein Kaninchenbau; er spähte die tiefsten, verborgensten Wege hinab, auf denen der Confidence-Konzern sein Geld bewegte, in jederNische ein Geheimkonto, sei es auf den Kanalinseln oder den Malediven. Er war der Herr über Sichtbares und Unsichtbares. Von Häusern und Gebäuden über der Erde und von Geldbunkern darunter.
Und warum hatte er das alles gebaut, über und unter der Erde?
Inzwischen waren alle der Meinung, dass Indien reich werden würde. Aber er hatte das schon vor zehn Jahren gewusst. Hatte für die Zukunft geplant. Weg von der Slumsanierung, hin zum Bau glänzender Hochhäuser, Einkaufszentren, eines Tages vielleicht sogar eines ganzen Vororts wie die Hiranandanis in Powai. Etwas hinterlassen, einen neuen Namen, Confidence-Konzern, Gründer Dharmen Vrijesh Shah, Sohn einer ersten Ehefrau aus Krishnapur.
Und da wollte ihm jetzt ein dämlicher alter Lehrer in die Quere kommen? Eine der Nachbarinnen hatte Shanmugham erzählt, dass Masterjis Sohn sich bei ihr gemeldet hatte. Er hatte ihr erzählt, sein Vater plane, am nächsten Tag die
Times of India
aufzusuchen. Um ihnen zu erzählen, dass ihn der Confidence-Konzern bedrohte.
Der Bauherr schlug sich mit beiden Händen an den Kopf. Warum hatte er sich von allen anständigen Wohnungsgenossenschaften in Vakola, von allen Genossenschaften, die darauf brannten, ein derartiges Angebot zu bekommen, ausgerechnet diese aussuchen müssen?
Schicksal, Glück, Vorsehung, Fortüne und Horoskope. Ein Mann mochte Willenskraft haben, aber um ihn herum wirkten dunkle Mächte. Also suchte er Schutz in der Astrologie. Seine Mutter war gestorben, als er ein Junge war. Hatte er nicht von Anfang an unter einem Unstern gestanden? Der Sohn der ersten Ehefrau? Krishnapur. In seinen Nasenlöchern roch er wieder die Kuhscheiße. Er hatte dagegen rebelliert, aber immer noch hing ihm das an, der dörfliche Schmutz, der dörfliche Fatalismus.
Er konnte Vishram nicht fallen lassen. Er würde in Vakola seinGesicht verlieren. Chacko würde an der ganzen Schnellstraße Plakate aufstellen, die sich über ihn lustig machten.
Und das bedeutete, dass es für das Problem mit dem alten Mann nur eine Lösung gab. Nur eine Lösung, damit das Shanghai gebaut werden konnte.
Shah dachte an den gehackten Fisch.
Wenn ein Bauherr früher Probleme gehabt hatte, dann endete dieses Problem zerstückelt im nassen Beton; es wurde ein Teil des Gebäudes, dem es sich in den Weg gestellt hatte. Ein bisschen Kalzium war gut für das Fundament. Aber diese Zeiten waren vorbei, die gesetzlosen Zeiten der 1980er und 1990er. Vishram war ein Gebäude der Mittelschicht. Der Mann war Lehrer. Wenn er plötzlich starb, würde es sofort einen Verdächtigen geben. Am nächsten Morgen würde die Polizei nach Malabar Hill kommen und an seiner Tür klingeln.
Andererseits waren die Hände der Polizei gut geschmiert. Er könnte damit durchkommen, wenn die Sache ordentlich erledigt wurde; klinisch sauber, ohne Fingerabdrücke. Dann würde sein Ansehen in Vakola sicher steigen, denn tief im Herzen erregt Gewalt bei jedem Bewunderung. Es war ein Risiko, ein großes Risiko, aber er könnte damit durchkommen. Er bückte sich und hob das Seidentuch auf.
Als es sich wieder zwischen seinen Fingern erwärmte, hörte er ein Schnarchen.
Die Tür zum Zimmer seines Sohnes war angelehnt. Satish hatte auf dem Bett die dicken Beine angezogen. Shah schloss die Tür hinter sich und setzte sich neben
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