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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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seinen Sohn.
    Schlaf um diese Zeit konnte nur eines bedeuten, eine lange Nacht mit seinen Freunden nachher. Und noch mehr Schwierigkeiten.
    Als er seinen Sohn so sah, ein atmendes Etwas zwischen warmen, zerwühlten Laken, dachte Shah an die Frau, mit der er dieses neue Leben gezeugt hatte.
    Rukmini. Vor dem Hochzeitstag hatte er sie noch nie gesehen; sie war mit einem Bus aus Krishnapur gekommen, nachdem er sich geweigert hatte, für die Hochzeit zurückzukehren. Sie waren hier in der Stadt getraut worden. Er bewunderte ihren Mut; schon nach wenigen Stunden hatte sie sich auf die große Stadt eingestellt. Am Abend ihres Hochzeitstages hatte sie mit dem Lebensmittelhändler über den Preis von weißem Zucker gestritten. Die Erinnerung entlockte ihm nach all den Jahren immer noch ein Lächeln. Dreizehn Jahre lang hatte sie sein Haus in Ordnung gehalten, seinen Sohn aufgezogen und die Aufsicht über die Küche geführt, während er im Wohnzimmer oder am Telefon seine Kollegen und linken Hände anbrüllte. Sie schien über das Baugewerbe genauso wenig eine Meinung zu haben wie er über ihr Kochen. Dann war sie eines Abends, er konnte sich nicht daran erinnern, welches Gespräch sie damals mitbekommen hatte, ins Schlafzimmer gekommen, hatte seine Kishore-Kumar-Musik abgestellt und zu ihm gesagt: «Wenn du weiterhin andere Menschen und ihre Kinder bedrohst, könnte eines Tages auch deinem eigenen Kind etwas zustoßen.»
    Sie hatte dann die Musik wieder angestellt und den Raum verlassen. Das einzige Mal, dass sie seine Arbeit kommentiert hatte.
    Shah berührte den dunklen Körper im zerwühlten Bett. Er fühlte die Zukunft des Jungen wie ein Fieber in sich. Drogen, Alkohol. Gefängnis. Eine Spirale von Problemen. Alles seinetwegen, wegen
seines
Karmas.
    Er spürte, dass er über etwas Ererbtes und Halbvergrabenes gestolpert war, wie über einen im Garten vergrabenen Goldtopf: Scham.
    «Herr.» Giris Silhouette zeichnete sich im hellen Licht der geöffneten Tür ab. «Der Fisch.»
    «Wirf ihn weg. Und mach die Tür zu, Giri, Satish schläft.»
    «Master. Shanmugham … ist raufgekommen. Er fragt, ob Sie ihm etwas zu sagen haben.»
    Der
almirah
seiner Frau stand offen, der Geruch ihres Hochzeitssaris und der alten Mottenkugeln erfüllte die Schlafzimmerluft.
    Masterji saß wie ein Yogi auf dem Boden.
    Nebenan schrie Mrs Puri ihren Mann an; über seinem Kopf stapfte der Verwalter mit schweren Füßen umher. Dann hörte er, wie aus dem ganzen Gebäude Füße zur Tür unter ihm eilten. Sie sprachen mit den Pintos. Er hörte lauter werdende Stimmen und dann Mr Pinto sagen: «Okay. Okay. Aber lasst uns in Ruhe.»
    Nach ein paar Minuten klingelte es an seiner Tür.
    Als er öffnete, stand eine kleine dünne Frau mit einem roten Notizbuch davor. Ein blaues Gummiband war zweimal darumgeschlungen.
    «Mr Pinto hat das seiner Frau gegeben, damit sie es Ihnen gibt, Masterji.»
    «Weshalb gibst du es mir dann, Mary?»
    Mary betrachtete ihre Füße. «Weil sie es Ihnen nicht selbst geben wollte.»
    Masterji nahm das rote Buch und entfernte das Gummiband. Man gab ihm das Streitvermeidungsbuch zurück, vorn hing ein gelbes Post-it.
Schulden alle beglichen, Konten aufgelöst.
    «Seien Sie nicht böse auf Mr Pinto», flüsterte Mary. «Sie haben ihn dazu gezwungen. Mrs Puri und die anderen.»
    Masterji nickte. «Ich mache ihm keine Vorwürfe. Er hat Angst.»
    Er wusste nicht, ob er Mary ansehen sollte. In all den Jahren hatte er mit der Putzfrau seiner Genossenschaft, bis auf Themen, die direkt mit ihrer Arbeit zu tun hatten, nicht einmal ein Dutzend Worte gewechselt.
    Sie lächelte. «Machen Sie sich keine Sorgen, Masterji. Gott wird uns beschützen. Sie versuchen auch mich aus meinem Zuhause zu werfen. Ich wohne am
nala.»
    Masterji betrachtete Marys Hände, die voller Quaddeln waren. Ihm fiel einer der Jungen an seiner Schule ein, dessen Mutter Müllsucheringewesen war. Ihre Hände waren von Rattenbissen und langen Kratzern bedeckt gewesen.
    Wie konnten sie diese arme Frau aus ihrer Hütte werfen? Wie viele wurden wohl aus ihren Häusern vertrieben? Was wurde dieser Stadt im Namen des Fortschritts bloß angetan?
    Er schloss die Tür, beugte sich vor und presste die Stirn an das Holz. «Darf nicht wütend werden. Das würde Purnima nicht wollen.»
    Das Telefon klingelte. Obwohl er auf Gauravs Anruf wartete, näherte er sich dem Telefon, nach den Erfahrungen in letzter Zeit, mit einer gewissen Bangigkeit.
    Er hob den Hörer ab und hielt ihn

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