Letzter Mann im Turm - Roman
das keine Story.»
«Warum denn nicht? Rentner kämpft gegen mächtigen Bauherrn. ‹Letzter Mann im Turm bietet Bauherrn die Stirn.› Also für mich klingt das wie eine Story.»
Gaurav zuckte die Achseln und aß sein Eis.
Masterji starrte seinen Sohn mit offenem Mund an. «Hat dein Bekannter denn wirklich mit Noronha gesprochen? Hast du
überhaupt
einen Bekannten bei der
Times of India?»
Gauravs Löffel kratzte den letzten Rest Schokolade aus dem Becher.
«Ich habe darauf gewartet, dass du mich anrufst, Vater. Tagelang. Ich habe zu Sonal gesagt, in Vishram gibt es Probleme, Mrs Puri ruft mich ständig an. Mein eigener Vater ruft mich nicht an. Aber als du dann angerufen hast, was hast du da gesagt?»
Gaurav drückte seinen Becher zusammen.
«Nimm für mich Verbindung zu Noronha auf. Mach einen Termin aus. Ich habe einen Bekannten bei der
Times,
Vater. Ich würde dich nicht anlügen. Ich habe Noronhas Nummer bekommen und habe den Hörer abgenommen, um ihn anzurufen, und dann habe ich gedacht, mein Vater behandelt mich wie einen Dienstboten. Nicht wie sein einziges noch lebendes Kind.»
Eine kleine rote Motte schwirrte um Masterjis Hand wie ein Luftpartikel, das ihn vor etwas zu warnen versuchte.
«Gaurav, ich habe dich angerufen, weil ich sonst nirgendwohin … Du bist meine letzte Zuflucht.»
«Vater, was willst du vom Confidence-Konzern?»
Masterji hatte Gaurav noch nie so entschlossen erlebt, und so klang auch seine Stimme. Er spürte, wie seine Kräfte schwanden.
«Nichts.»
Sein Sohn zog spöttisch die Oberlippe hoch. Purnima hatte das auch immer getan.
«Du lügst, Vater.»
«Ich lüge?»
«Begreifst du, was hinter diesem Nichts steht?
Du.
Du glaubst, du bist ein bedeutender Mann, weil du diesem Shah die Stirn bietest. Der nächste Galilei oder Gandhi. Du denkst überhaupt nicht an deinen Enkel.»
«Ich denke
sehr wohl
an Ronak. Dieser Shah hat die Pintos bedroht. Am helllichten Tag. Möchtest du, dass Ronak in einer Stadt aufwächst, in der er am helllichten Tag bedroht oder schikaniert werden kann? Hör mir mal zu, Gaurav. Dhirubhai Ambani hat gesagt, er würde jeden unterwürfig grüßen, wenn er dafür der reichste Mann Indiens würde. Ich habe niemanden unterwürfig gegrüßt. Dies war einmal eine Stadt, in der ein freier Mann seine Würde wahren konnte.»
Gaurav starrte ihn wütend an. Sein ovales Gesicht mit den kantigen Zügen ähnelte, bis auf das Fett, das sich auf ihm abgelagert hatte, dem seines Vaters; aber wenn er finster blickte, bildete sich eine dunkle Querfalte auf seiner Stirn wie eine Markierung, die seine Mutter hinterlassen hatte.
«Vielleicht hättest du
doch
mehr Leute unterwürfig grüßen sollen, Vater.»
Monatelang hatte er sich vorgestellt, mit Purnima zu sprechen, und geglaubt, ihre leisen Antworten aus der Ferne zu hören, aber nun war es, als stünde seine Frau direkt vor ihm und spräche mit ihm.
«Vielleicht hätte Sandhya nicht den Zug nehmen müssen, wenn du mehr Geld verdient hättest. Vielleicht hätte sie dann an diesem Tag, an dem sie aus dem Zug gestoßen wurde, stattdessen sicher in einem Taxi gesessen. Sie war schließlich meine Schwester, auch ich denke an sie.»
«Mein Junge, mein Junge.» Masterji stützte sich auf das Blatt Papier, das er beschrieben hatte. «Mein Junge.»
«Alle anderen Eltern in der Vishram Society haben an ihre Kinder gedacht. Nur du nicht. So ist es immer schon gewesen. Als ich bei dir Physikunterricht hatte, hast du mich häufiger bestraft als alle anderen.»
«Ich musste den anderen Jungen doch zeigen, dass ich dich nicht bevorzuge.»
«Mein ganzes Leben lang habe ich Angst vor dir gehabt. Vor dir und deinem Stahllineal, mit dem du mir auf die Knöchel geschlagen hast.
Weil ich nachmittags geschlafen habe.
Ist das ein Verbrechen? Du hast meiner Mutter das Leben zur Hölle gemacht. Hast sie wegen jeder paar Rupien, die sie ausgegeben hat, zusammengestaucht. Weißt du nicht mehr, was sie auf ihrem Sterbebett gesagt hat, als ich sie fragte, ob sie ein schönes Leben gehabt hätte? Sie sagte, ich habe eine glückliche Kindheit gehabt, Gaurav.
Eine glückliche Kindheit,
Vater – und das war’s an Glück.»
«Lass deine Mutter aus dem Spiel.»
«Deine Schüler standen immer an erster Stelle für dich. Immer. Nicht, dass sie dich gemocht hätten.» Er grinste. «Sie haben dir Spitznamen gegeben. Hässliche Spitznamen.»
«Das reicht.» Masterji stand auf. «Ich gehe rauf und rede selbst mit Noronha.»
«Geh. Geh nur.
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