Leviathan erwacht - Corey, J: Leviathan erwacht - Leviathan Wakes (The Expanse Series Book 1)

eines Tages Engel werden«, entgegnete der Missionar.
    »Nicht die Methodisten.«
    »Auch sie werden schließlich diesen Weg gehen«, erwiderte der Geistliche, »aber vielleicht nicht als Erste. Was führt Sie denn an Bord unserer Heiligen der Durchschlafenden?«
    Miller seufzte und lehnte sich an die unnachgiebige Lehne seines Sitzes. Zwei Reihen vor ihm ermahnte eine junge Frau ihre beiden kleinen Söhne, nicht auf den Sitzen auf und ab zu springen, und wurde ignoriert. Hinter ihnen hustete ein Mann. Miller atmete tief durch.
    »Ich war Cop auf Ceres«, sagte er.
    »Ah, die Veränderung des Kontrakts.«
    »Genau«, bestätigte Miller.
    »Wollen Sie sich jetzt auf Eros um eine neue Anstellung bemühen?«
    »Ich suche dort jemanden«, erklärte Miller. Zu seiner eigenen Überraschung fügte er hinzu: »Ich bin auf Ceres geboren und habe mein ganzes Leben dort verbracht. Dies ist erst das … fünfte Mal, dass ich die Station verlasse.«
    »Wollen Sie später zurückkehren?«
    »Nein«, sagte Miller. Das klang selbstsicherer, als es seinem Gefühl entsprach. »Nein, ich glaube, dieser Teil meines Lebens ist abgeschlossen.«
    »Das muss schmerzlich sein«, entgegnete der Missionar.
    Miller ließ sich Zeit, ehe er auf die Bemerkung antwortete. Der Mann hatte recht, es sollte schmerzlich sein. Alles, was er je gekannt hatte, war dahin. Sein Job, die Gemeinschaft. Er war nicht einmal mehr ein Cop, obwohl er im Gepäck eine Pistole verstaut hatte. Er würde nie mehr an dem kleinen indischen Imbisswagen am Rand von Sektor Neun essen. Die Empfangsdame in der Wache würde ihm nie wieder zunicken, wenn er zu seinem Schreibtisch ging. Keine Nächte mehr in der Bar mit den anderen Cops, keine verrückten Geschichten über gescheiterte Verhaftungen, keine Kinder, die in den hohen Tunnels Drachen steigen ließen. Er forschte in sich selbst wie ein Arzt, der einen Entzündungsherd sucht. Tat es hier weh? Spürte er dort einen Verlust?
    Nein. Er entdeckte nur ein starkes Gefühl der Erleichterung, bei dem ihm beinahe schwindlig wurde.
    »Entschuldigung«, fragte der Missionar verwirrt, »habe ich etwas Komisches gesagt?«
    Auf Eros lebten anderthalb Millionen Menschen, also etwas mehr, als Ceres zu jedem beliebigen Zeitpunkt an Besuchern zu verzeichnen hatte. Der Felsblock hatte ungefähr die Form einer Kartoffel und war viel schwerer in Drehung zu versetzen gewesen. Die Oberflächengeschwindigkeit musste erheblich höher als auf Ceres sein, um den gleichen inneren G-Wert zu erreichen. Die alten Werften ragten aus dem Asteroiden hervor wie gewaltige Spinnennetze aus Stahl und Kohlenstofffasern. Warnlampen und Sensoranlagen sollten die Schiffe davon abhalten, den Aufbauten zu nahe zu kommen. Die inneren Höhlen von Eros waren der Geburtsort des Gürtels gewesen. Von Roherz über Schmelzöfen und Abklingplattformen bis zu den Gerippen der Wassertransporter, Gastanker und Prospektorenschiffe. Eros war in der ersten Generation der menschlichen Expansion für sie alle der wichtigste Zwischenhalt gewesen. Von dort aus gesehen war die Sonne nur noch ein heller Stern unter Milliarden anderen.
    Die Wirtschaft des Gürtels hatte sich weiterentwickelt. Die Ceres-Station war mit neueren Docks, stärkerer Industrie im Hintergrund und mehr Bewohnern auf den Plan getreten. Die kommerziellen Linien hatten lieber Ceres angesteuert, während Eros ein Zentrum für den Bau und die Reparatur von Raumschiffen geblieben war. Die Folgen waren ebenso vorhersehbar wie unverkennbar gewesen. Auf Ceres bedeutete eine lange Liegezeit im Dock, dass man Geld verlor, und die Gebührenordnung entsprach dieser Regel. Auf Eros musste ein Schiff möglicherweise Wochen oder Monate andocken können, ohne den übrigen Verkehrsfluss zu stören. Wenn eine Crew einen Ort suchte, um sich zu entspannen, die müden Gliedmaßen auszustrecken und sich eine Weile aus dem Weg zu gehen, war Eros der richtige Ort. Da die Eros-Station niedrigere Liegegebühren verlangte, gab es dort eine Menge andere Angebote, um den Besuchern das Geld aus der Tasche zu ziehen: Casinos, Bordelle, Schießstände. Das Laster in allen verkäuflichen Formen war auf Eros zu Hause, und die Wirtschaft blühte auf wie ein Pilz, der sich von den Begierden der Gürtler nährte.
    Es war einem glücklichen Zufall der Himmelsmechanik zu verdanken, dass Miller einen halben Tag vor der Rosinante dort eintraf. Er wanderte durch die billigen Casinos, die Opiumhöhlen und die Sexclubs, besuchte die Schaukämpfe, wo