Lewis, Michael
Bankrott stand, war Merrill dabei. Als
die Dotcom-Blase platzte, saß Merrill in der ersten Reihe. Schon in den
achtziger Jahren das 20. Jahrhunderts, als der erste Anleihenhändler von der
Leine gelassen wurde und Hunderte Millionen US-Dollar in den Sand setzte, war
Merrill zur Stelle, um den Schlag einzustecken. Für Eisman war das Logik: die
Logik der Wall-Street-Hackordnung. Goldman Sachs war das große Kind, das in
diesem Viertel das Sagen hatte. Merrill Lynch war der kleine dickliche Junge,
dem die weniger guten Rollen zugewiesen wurden, der aber froh war, überhaupt
mitspielen zu dürfen. In Eismans Augen ging es bei diesem Spiel darum, die
Peitsche zu schwingen. Er ging davon aus, dass Merrill Lynch den ihm zugewiesenen
Platz am Ende der Kette eingenommen hatte.
Am
17. Juli 2007, zwei Tage, bevor der Notenbankchef Ben Bernanke dem
US-amerikanischen Senat erklärte, dass er auf dem Markt für minderwertige
Anleihen mit Verlusten in der Größenordnung von 100 Milliarden US-Dollar
rechne, tat FrontPoint etwas mehr als Ungewöhnliches: Es veranstaltete eine
eigene Telefonkonferenz. Sie hatten schon mehrfach kleinere Konferenzen mit der
Handvoll Investoren durchgeführt, die sie hatten, doch diesmal öffneten sie
sich einem breiten Publikum. Steve Eisman war kein Geheimtipp mehr. »Steve war
einer von zwei Investoren, der ganz genau wusste, was sich da abspielte«,
berichtete ein bekannter Wall-Street-Analyst. An die 500 Anrufer wollten Eisman
zuhören, und weitere 500 hörten sich anschließend die Aufzeichnung dieser
Konferenz an. Eisman erklärte die befremdliche Alchemie der Mezzanine-CDOs -
und sprach davon, dass er mit drohenden Verlusten in der Größenordnung von bis
zu 300 Milliarden US-Dollar rechne, und zwar allein in diesem Marktsegment. In
einem Versuch, den Ernst der Lage zu erklären, sagte er seinen Zuhörern: »Werft
euer Modell einfach in den Mülleimer. Diese ganzen Modelle richten ihren Blick
immer nur auf die Vergangenheit. Diese Modelle haben keine Ahnung, was aus
dieser Welt geworden ist ... Zum ersten Mal in ihrem Leben müssen die Leute aus
der Welt der verbrieften Forderungen ihr Gehirn benutzen!« Er fuhr damit fort,
dass die Ratingagenturen seiner Meinung nach aus moralischer Sicht schon
bankrott seien und in der Angst lebten, tatsächlich Konkurs anmelden zu
müssen. »Die Ratingagenturen ängstigen sich zu Tode«, erklärte er. »Sie
ängstigen sich zu Tode, weil sie nichts tun, aber dann als Deppen dastehen, die
nichts getan haben.« Er fuhr fort, dass mindestens die Hälfte aller
US-amerikanischen Eigenheimhypotheken - in Höhe von mehreren Billionen
US-Dollar - Verluste einfahren würden. »Wir befinden uns inmitten eines der größten
sozialen Experimente, die dieses Land je miterlebt hat«, stellte Eisman fest.
»Aber das wird garantiert nicht lustig... Wenn Sie meinen, die Lage sei schon
schlimm genug, warten Sie mal ab, was da noch alles kommt.« Als er mit seinen
Ausführungen fertig war, ließ sich der nächste Sprecher, ein Brite, der einen
eigenen Fonds bei FrontPoint managte, mit seiner Antwort Zeit. »Tut mir leid«,
entschuldigte sich der Mann trocken. »Ich musste mich erst wieder fassen,
nachdem Steve das Ende der Welt verkündet hat.« Und alle lachten.
Später
an diesem Tag wurden die Investoren des kollabierten Bear-Stearns-Hedgefonds
davon in Kenntnis gesetzt, dass ihre mit AAA bewerteten CDOs auf der Basis von
Subprime-Papieren für 1 ,6 Billionen US-Dollar nicht nur
etwas an Wert verloren hatten, sondern komplett wertlos seien. Eisman war nun
überzeugt, dass viele der ganz großen Wall-Street-Unternehmen nicht begriffen,
welchem Risiko sie ausgesetzt waren und in welch großer Gefahr sie sich
befanden. Seine Überzeugung beruhte vor allem auf seiner Erinnerung an das
Abendessen mit Wing Chau - als er verstanden hatte, welch zentrale Rolle die
Mezzanine-CDOs spielten, und hoch gegen genau diese Sorte von CDOs spekulierte,
was wiederum die Frage aufwarf: Was genau enthält so ein CDO denn nun? »Ich
hatte nicht die leiseste Ahnung, was in so einem CDO alles drin war«, sagte
Eisman. »Eine Analyse war nicht möglich. Man konnte aber auch nicht sagen:
>Geben Sie mir diejenigen mit den ganzen Krediten aus Kalifornien.<
Keiner wusste ja, was da drinsteckte.« Nun gut, sie hatten genug gehört, um
mittlerweile zu wissen - wie Danny sich ausdrückte -, »dass aus lauter Scheißteilen,
gegen die wir spekuliert haben, Portfolios geschnürt wurden.« Ansonsten
befanden
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