Lichtschwester
wäre. Aber es kam noch schlimmer! Dreyan, sagte er, wäre vielleicht kein Gestaltwandler, sondern ein Mensch. Aber das ließe sich erst nach einigen Monaten sagen. Wenn er jedoch ein Mensch wäre, würde er ihn ... ebenfalls umbringen«, schloß Ressa und sah auf ihren Sohn hinab.
Sharik starrte erschüttert den herzhaft gähnenden, mit der Faust nach seiner Mutter fuchtelnden Dreyan an. Bei den Göttern, dachte sie, von Übelkeit überkommen, seinen eigenen Sohn! »Dann bist du also geflohen?« bohrte sie weiter. »Und er ist dir gefolgt. Warum hast du ihn nicht einfach bei deinem Herrn angezeigt?«
Ressa lachte bitter. »Wer hätte mir denn geglaubt, daß ich erst da erfahren hatte, wer er wirklich ist? Ich war doch schon seit über einem Jahr mit ihm verheiratet!«
Als Ressa schwieg und sie mit brennenden Augen anblickte, lehnte Sharik sich an die Wand und wartete ... auf ein Zeichen. Ressas Geschichte schien Hand und Fuß zu haben, aber etwas stimmte daran nicht. Gut, die Große Kriegerin war nicht mit Schwert und Rüstung und Donnerhall erschienen, um Ressa der Lüge zu bezichtigen, aber das Gefühl, daß jemand ihr über die Schulter blicke, war noch da, war sogar stärker geworden ... Sie fühlte eine wachsende Gewißheit in sich, die sich in einen einzigen Satz fassen ließ: »Sie hat gelogen.«
Und noch ehe ihr bewußt wurde, daß sie laut gedacht hatte, schrak Ressa auf und beteuerte: »Falkin, ich habe die Wahrheit gesagt! «
Sharik musterte sie kühl und ohne sie einer Antwort zu würdigen, bis Ressa schließlich schuldbewußt den Kopf senkte. »Ich habe es von Anfang an gewußt«, flüsterte sie. »Haldan hat es mir vor unserer Heirat schon erzählt, weil er dachte, er könne es ohnehin vor mir nicht geheimhalten.«
»Warum hast du ihn dennoch genommen?« fragte Sharik unerbittlich und horchte mit einemmal dem Klang ihrer Stimme nach. Hatte darin nicht auch eine andere Stimme mitgeklungen?
Ressa fuhr mit den Fingern über ihr weinrotes Muttermal, das ihr halbes Gesicht bedeckte. Zornestränen schossen ihr in die Augen.
»Was ging es denn mich an, was er den anderen antat?« fragte sie aufschluchzend. »Für die war ich doch immer nur ein Spaß für eine Nacht oder Zielscheibe ihres Spottes gewesen. Und ich wußte, was man sich über die Tierleute erzählte. Daß jeder Mensch nach ihrem Biß wie sie wird und daß sie einen makellosen Leib haben. Haldan war ohne körperlichen Makel. Und er schwor mir, mich nach Dreyans Geburt ebenso makellos zu machen.« Nun wandte sie den Kopf, nach links, wie immer, und fuhr mit stumpfer Stimme fort:
»Ich habe ihm geglaubt... Erst später dann habe ich mich gefragt, wieso er denn ein Kind brauchte, um einen Stamm zu gründen, wenn er doch jeden Menschen in seinesgleichen verwandeln konnte.«
»Dann hast du ihn also verlassen, als dir klar wurde, daß er dich hintergehen wollte?« fragte Sharik in eisigem Ton. Aber Ressa sah auf und blickte ihr fest in die Augen.
»Ich verließ ihn, damit er meinen Sohn nicht töten konnte.« Da wußte Sharik, daß dies die Wahrheit war. Sinnend betrachtete sie Dreyan, der böse um sich sah. Wieviel an ihm war menschlich? Und wieviel von seinem Vater lauerte hinter diesen unschuldigen blauen Augen ? Aber darauf kam es nicht an. Dieser Junge war ohne Schuld, zumindest bis jetzt, und das Gelübde, das sie getan, war eindeutig.
»Im Namen der Großen Beschützerin«, schwor sie, »ich werde deinen Sohn beschützen.«
Da fiel alle Spannung von Ressa. Sie sank etwas in sich zusammen und flüsterte: »Ich danke dir, Falkin!«
Danke lieber deinem Sohn, dachte Sharik unwirsch, als sie nun die Küche verließ.
Sharik trat in den verschneiten Hof und sah sich genau um. Sie konnte Haldan nirgendwo entdecken, nicht die Spur von ihm, war sich jedoch sicher, daß er sie beobachtete. Langsam ging sie ein paar Schritte in den Hof hinaus und blieb dann abwartend stehen.
Der Sturm hatte sich gelegt und war zur Brise geworden. Aber auch die drang ihr noch so eisig durch den allzu dünnen Umhang und das fadenscheinige Kleid Ressas, das sie jetzt anhatte, daß sie eine Gänsehaut bekam. Das Haar hatte sie sich zum Knoten gebunden und unter der Kapuze verborgen, und die linke Gesichtshälfte hatte sie sich rot bemalt. Und in den Armen hielt sie ein längliches Bündel - ein in Dreyans Decke gehülltes Holzscheit -, das auch den Dolch in ihrer Hand verbarg.
Der hölzerne
Weitere Kostenlose Bücher