Liebe 2.0
brodeln und schwappt hin und her, und auf einen
Schlag ist es mir egal, wie Max tatsächlich an die Karte gekommen ist. Hier raus
zu gehen, ohne meiner Ex-Affäre auf die Schuhe zu kotzen, hat jetzt oberste
Priorität. Mir bricht der Schweiß aus, und ich klammere mich an einen
Magazinständer.
„Hey, Julia, was
ist los?“ Max greift besorgt nach meinen Schultern, aber ich versuche, ihn
abzuwehren.
„Nichts, nichts,
mir ist nur furchtbar übel… Ich glaub, ich muss mal schnell wohin.“
Als ich mich an
Max vorbei drängele, ist da wieder dieser kleine Blitzschlag, den ich in meiner
Panik jedoch kaum wahrnehme. Die Toiletten. Wo sind die Toiletten? Während ich
durch das Foyer stolpere, bleibt Max mir dicht auf den Fersen. Er stellt keine
weiteren Fragen und ist doch bereit, mich bei Bedarf jederzeit aufzufangen.
An der Tür zu
den Waschräumen drehe ich mich mit letzter Kraft zu ihm um. „Danke, Max.“ Meine
Stimme ist leicht zitterig, aber die halbe Minute bin ich ihm schuldig.
Max streicht mir
eine verschwitzte Strähne aus der Stirn. „Keine Sache. Lara … Du weißt,
ich bin da.“
„Sieht ganz so
aus.“ Ich nicke angestrengt. „Aber trotzdem möchte ich dich jetzt bitten, zu
gehen.“
Max öffnet den
Mund, aber bevor er etwas erwidern kann, fahre ich schon hektisch dazwischen.
„Max! Bitte! Geh !“
„Soll ich nicht
wenigstens Astrid Bescheid sagen?“
Die letzten
Worte höre ich nur noch durch die hinter mir zugefallene Tür, und bevor ich
eine Antwort zurückrufen kann, bricht es auch schon aus mir heraus: ein
unappetitlicher Schwall von klarem Prosecco und weißem Popcornmatsch – nicht
wirklich viel, und doch das einzig Nennenswerte, das ich heute zu mir genommen
habe. Als ob es zuviel verlangt wäre, wenigstens das bisschen Essen, das ich
momentan noch runter bekomme, nicht direkt wieder retour zu schicken… Hastig
drücke ich die Spülung, um die Beweise meines neuen Scheiterns zu beseitigen,
aber das ungute Gefühl bleibt. Papa hat Recht. Das darf nicht schon wieder
passieren.
„Selbstzerstörung
hat nichts mit Kontrolle zu tun“, hat mir mein Psycho-Doc immer wieder
vorgebetet, und die altkluge Pubertierende, die ich damals war, hatte ihm
vorgeschlagen, den Spruch der Einfachheit halber auf ein T-Shirt zu drucken.
Tja, hätte er es mal getan!
Immer noch auf
den Fliesen kauernd, durchkreuzen die wildesten Gedanken mein Gehirn, und
schließlich muss ich trotz aller Frustration, die ich empfinde, kichern. Ich
meine, da rege ich mich über den Plot von Kitschfilmen auf, und gebe kurz
darauf selber den sterbenden Schwan – ganz melodramatisch vor der Kloschüssel.
Alberner geht es kaum… Verdammte Scheiße. Reiß dich zusammen!
So energisch wie möglich stelle ich mich wieder auf meine wackeligen
Beine und wanke zum Waschtisch. Während ich mir kaltes Wasser über die
Handgelenke laufen lasse, traue ich mich kaum, einen Blick in das
Schreckensbild zu werfen, das mir der Spiegel zurückwirft. Aber Ignorieren
bringt ja nichts, das sollte ich spätestens jetzt kapieren. Und so wage ich die
Konfrontation und starre in das bleiche Gesicht mit den ungewohnt scharfen
Wangenknochen und den fiebrigen, von Tränen glänzenden Augen. In der Hoffnung,
wie durch ein Wunder die fremde Maske abspülen und mein Gegenüber wieder mehr
zu mir machen zu können, kippe ich mir eine Ladung Wasser ins Gesicht, doch was
ich sehe, bleibt unverändert. Ich muss nicht nur mir selbst, sondern auch den
Tatsachen ins Auge schauen. Ich bin auf dem Weg, mich zu verlieren. Schon
wieder. Und spätestens jetzt ist mir jedes Kichern vergangen.
Eine Weile starre ich vor mich hin,
durch mich hindurch… und plötzlich scheint es, als würde sich die kalte
Kristallfläche mitsamt meinem Spiegelbild in Nebel auflösen. Nach und nach
werden bekannte Konturen sichtbar, Szenen und Erinnerungen aus einer
vergangenen und nunmehr doch erschreckend gegenwärtigen Zeit. Ich sehe Mamas
verweinten Blick, mit dem sie mir beim Essen gegenübersitzt, und Papas
Stirnrunzeln, mit dem er täglich mein Gewicht kontrolliert. Ich sehe Tristans
Kinderzeichnungen, auf denen er seine Schwester als durchsichtiges Gespenst
gemalt hat. Und ich sehe mich: Ein verunsichertes, hilfloses Kind, das so gerne
alles richtig machen würde und doch nicht anders kann, als sich und seinen
Liebsten weh zu tun.
Ich schließe gequält die Augen und zähle bis zehn, und als ich sie wieder
öffne, sind alle Geister bis auf das kleine Mädchen
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