Liebe auf den zweiten Kuss
glaube, es ist autobiografisch. Gerüchten zufolge hatte Clarice eine Affäre mit ihrem Chef, dem Mann also, dem die Porzellanfabrik gehörte.«
Margie richtete sich auf und rang nach Luft. »Das ist ja schrecklich . Sie muss eine schreckliche Frau gewesen sein, einer anderen Frau den Mann zu stehlen.«
Suze bemühte sich, nicht zusammenzuzucken. Selbst nach vierzehn Jahren war dies immer noch ihr wunder Punkt.
»Das ist das Schlimmste, was eine Frau tun kann«, fuhr Margie fort, sichtlich erschüttert. »Das ist unverzeihlich .«
»Margie«, sagte Nell. »Sei doch ein wenig nachsichtiger.« Margie sah auf. »Doch nicht du, Suze.« Sie runzelte die Stirn und blickte auf das Sahnekännchen, das Suze gerade Nell reichte. »Aber diese Geheimnisse-Frau, also wirklich. Hat sich einfach ihren verheirateten Chef geschnappt.« Sie blickte auf den Susie-Cooper-Teller und sagte: »Hoffentlich war Susie nicht auch so eine.«
»Susie war treu und pragmatisch bis in den Tod«, versicherte Nell. »Sie war verheiratet und hatte einen Sohn.«
»Gut so. Eine gute Frau.« Margie reichte Nell die Schüssel und packte weiter aus.
Suze dachte, und ihre eigene Firma hatte sie auch , und begann, Susie zu verabscheuen. Sie packte die Zuckerdose der Secrets-Serie aus, bemüht, das runde Bäumchen und die ruhige blaue See am Boden nicht zu zerkratzen. Arme Clarice. Sie hatte einen verheirateten Mann geliebt, wohl wissend, dass sie nie zusammenkommen würden. Vermutlich wurde sie von all den achtbaren Ehefrauen ihrer Umgebung gemieden und hatte nie ihre eigene Firma gründen können, weil sie mit dem Mann zusammenbleiben musste, den sie liebte. »Was ist denn mit Clarice passiert?«, fragte sie und musterte die beiden einsamen Häuser mitfühlend.
»Als sie um die vierzig war, starb die Frau ihres Chefs, und er hat sie geheiratet. Seitdem lebten sie glücklich zusammen.«
Um die vierzig. Wenn das bei Jack und ihr auch so gewesen wäre, hätte sie noch zehn Jahre auf ihn warten müssen. Hätte sie das getan? Würde sie heute wieder genauso handeln? Was für ein Mensch wäre sie heute, wenn sie nicht geheiratet hätte? Denk nicht darüber nach . »Gut für Clarice«, meinte Suze und reichte Nell das Zuckerdöschen. »Warte, von den beiden besitze ich auch Porzellanfiguren.« Sie nahm ein paar eingewickelte Teile aus dem Karton und legte sie auf den Fußboden, bis sie die gesuchten gefunden hatte. Dann reichte sie jedem ein in Luftpolster verpacktes Etwas.
»Wer ist denn das?«, erkundigte sich Suze, die ihres als Erste ausgepackt hatte. Nell warf einen Blick darauf.
»Susie Cooper.«
Susie saß auf einem Stückchen Keramik, in ihrem Rücken einen Teller mit Blumenmuster und wirkte wie eine elegante Mary Poppins in einem konservativen weinroten Kostüm, die Knie artig zusammengehalten, und hielt einen breitkrempigen Hut auf ihrem Kopf fest.
»Hübsch«, meinte Margie und wickelte ihr Päckchen behutsam aus.
Unaufregend , dachte Suze angewidert.
»Oh.« Margie musterte ihre Figur zweifelnd.
Die weibliche Gestalt saß auf einem Stück Keramik vor einem Teller mit einer Landschaft, die Beine übereinander geschlagen und das tief ausgeschnittene Etuikleid über die Knie gerutscht. Sie blickte über ihre Schulter, den Rücken kerzengerade und in den Augen ein Leuchten.
Suze lächelte. »Clarice.«
»Sie gefällt mir nicht. Lass mich mal Susie sehen«, wandte sich Margie an Suze, und sie tauschten Figuren. Suze musterte die kokette Clarice, die Vergnügungssüchtige mit der unpraktischen Keramik und einem verheirateten Liebhaber. Vielleicht hätte ich eine Geliebte bleiben sollen , dachte sie. Vielleicht war sie gar nicht dazu geschaffen, die verheiratete Susie zu sein, zu der sie schließlich geworden war. Vielleicht war sie dazu geboren, wie die leichtlebige Clarice zu sein.
Jetzt war es natürlich zu spät. Sie reichte Nell Clarice und beobachtete, wie diese die Figur in die Vitrine stellte.
»Sie haben sich alle sehr gut gemacht«, bemerkte Nell und rückte Clarice auf dem Regal zurecht. »Sie hatten eine Arbeit, die sie mochten und in der sie Außergewöhnliches geleistet haben.«
»Arbeit«, wiederholte Suze und empfand Neid gegenüber Susie und Clarice mit ihrer Keramik, und Margie mit ihrem Café und sogar Nell mit ihrem Sekretärinnenjob. Vielleicht sollte sie einen Töpferkurs machen. Oder eine Kochschule besuchen. Das würde Jack gefallen.
Das Problem war nur, dass sie all diese Kurse so satt hatte. Sie wickelte noch
Weitere Kostenlose Bücher