Liebe auf südlichen Straßen
Gewalt etwas ans Licht, was sie zu begraben und zu vergessen wünschte, »nur die plumpen Zeichnungen einer Schere, einer Peitsche und einer Pistole...«
»Mein Gott, Gina!« Ich nahm sie bei den Armen, als müsse ich sie wachrütteln, »ist dir das denn nicht deutlich genug?!«
Und plötzlich umklammerte sie mich, als wollte sie mich nie mehr freigeben. »Was für ein Verbrechen begehe ich damit, daß ich dich liebe?« rief sie unter Tränen. »Wen verletze ich damit? Wem schade ich dadurch? Was wollen diese Menschen von mir?«
Was sollte ich ihr antworten? Mit dem Kriege war der Wahnsinn auf der ganzen Welt wie eine Epidemie ausgebrochen. Und wir beide hatten keine Chance, solange die Krankheit nicht erlosch. Ich konnte Gina nur in meine Arme nehmen, sie an mein Herz pressen und ihr Zureden, dem Rat ihres Vaters zu folgen. Sie hörte mich an und schloß meine Lippen mit einem langen Kuß.
»Liebst du mich, Lorenzo?«
»Ich werde dich lieben, solange ich lebe!«
»Und du wirst mir schreiben?«
»Jeden Tag, das verspreche ich dir!«
»Gut«, sagte sie, »dann fahre ich also in die Schweiz! Sagen wir einmal: nach vierzehn Tagen. Ich will nicht davonlaufen, daß es aussieht wie eine Flucht!«
Ich hätte darauf drängen sollen, daß sie sofort ginge, aber ich war mit meinem Erfolg zufrieden und ahnte nicht, wie es kommen würde, daß sie die Abreise von Tag zu Tag und von Woche zu Woche hinausschob. Wie ich sie auch beschwor, wenigstens die Gegend von Camogli zu verlassen und irgendwo in Alessandria oder Mailand unterzutauchen, wo ich sie vielleicht sogar gelegentlich besuchen konnte, immer wieder schwatzte sie mir eine kleine Frist ab. Und ich war zu schwach und auch zu sehr in sie verliebt, um nicht insgeheim damit zufrieden zu sein, daß unsere Trennung immer wieder einen kleinen Aufschub erfuhr.
Unsere Zusammenkünfte verlegten wir auf den Abend, und wir fanden neue Plätze, von denen wir hofften, daß sie der Aufmerksamkeit unserer unheimlichen Beobachter entgehen würden. Es ist möglich, daß Gina inzwischen neue Drohbriefe bekam, aber weder ich noch Don Serafino erfuhren davon etwas. Wenn wir uns zufällig trafen, sah er mich unter schweren Lidern mit düsteren Blicken an und eilte, so schnell es Atem und Gewicht zuließen, an mir vorüber. So ging der Winter vorbei, und so kam das Frühjahr.
Peppino hatte ich seit langer Zeit nicht mehr gesehen. Es hatte da eine Trübung in unserer Freundschaft gegeben, denn er wurde mir zu großspurig und fiel mir eines Tages mit seinen Sprüchen so sehr auf die Nerven, daß ich ihm ziemlich unfreundlich und energisch über das Maul fuhr. Ich weiß nicht, was für Geschäfte Hauptmann Södering mit ihm hatte, wahrscheinlich versorgte Peppino ihn mit besseren Kognaks und Zigaretten, als sie im gewöhnlichen Schleichhandel zu bekommen waren. Jedenfalls fragte mich der Chef eines Tages nach Peppinos Adresse und bat mich, Peppino zu ihm zu schicken, falls ich ihn anträfe. Ich erinnerte mich nicht mehr seines Namens, den er mir damals genannt hatte, wohl aber der Viale Doria. Mit dem ersten Haus, an dem ich anklopfte, hatte ich sein Standquartier erwischt. Eine Matrone mit überquellenden Formen, die gerade dabei war, Ravioli mit einer Fischfarce zu füllen, überfiel mich mit einem Wortschwall.
»Peppino — Sie meinen Signor Beppo Castaldo, nicht wahr? Stellen Sie sich vor, er ist mir für sich und die beiden Damen, die bei mir wohnen, die Miete für zwei Monate schuldig geblieben und einfach ausgerückt. Über Nacht davon! Was sagen Sie dazu, Maresciallo? Und das verrückte dabei: er hat seine eleganten Anzüge — wirklich Qualitäten, wie sie unsereiner überhaupt nicht mehr zu sehen geschweige denn zu kaufen bekommt — einfach in einen Koffer gestopft und ist mit den alten geflickten Klamotten, in denen er hier auftauchte, wieder abgerauscht! Und vorher hat er schon dahergeredet, daß einem angst und bange werden konnte. Ihr sitzt hier wie die Ratten in der Falle, hat er gesagt! Wartet nur ab, bis der Segen von oben kommt wie damals in Nettuno, hat er gesagt! Und nun frage ich Sie, Maresciallo: was soll das heißen? Steht es wirklich so schlecht um die Deutschen? Und wovon sollen die Mädchen leben, wenn ihr abzieht? Oder meinen Sie, daß die Signori Inglesi und Americani...«
»Ich bin davon überzeugt, Signora, daß die Damen glänzende Geschäfte machen werden!« tröstete ich sie und entzog mich ihrem temperamentvollen Redestrom.
Peppino war also
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