Liebe auf südlichen Straßen
auf!« fuhr sie ihn an, »dein Matteo hat in seinem Leben genausoviel Unsinn geredet wie du! Geh jetzt und binde die Tomaten auf oder hack die Baumscheiben, geh schon!« Und sie scheuchte ihn wie ein Huhn aus der Kammer. »Ein alter Mann, der nicht mehr ganz richtig im Kopf ist«, sagte sie entschuldigend zu mir, »du darfst es ihm nicht übelnehmen. Aber ich werde ihn im Auge behalten, daß er kein Unheil anrichtet.«
Die große Verletzung des Ausschusses, die zuerst so bös ausgesehen hatte, heilte unter Annas sorgfältiger Pflege bald zu und belästigte mich nicht mehr. Ich konnte das Bein jetzt ausstrecken, ohne daß die Wunde mir beim Liegen und Schlafen Schmerzen bereitete. Dafür brach der Einschuß immer wieder von neuem auf. Es waren fraglos Stoffteile tief in den Schußkanal eingedrungen, die nur durch die Sonde entfernt werden konnten. Manchmal sah es aus, als würde die Wunde sich schließen, aber dann begann es wieder im Fleisch zu toben, und die Verbände mußten alle paar Stunden erneuert werden. Ich hatte oft Fieber und magerte trotz der guten Bissen, die Anna sich vom Munde absparte und mir zusteckte, stark ab. Die Madonna von Loreto hatte mir nicht geholfen, und immer wieder beschlich mich die Furcht, sie habe auch Gina im Stich gelassen. Ich rief Ginas Bild in den langen einsamen Nächten an, aber ich spürte keinen Kontakt. Mein Ruf verlor sich in Nebel, Kälte und Dunkelheit.---
Nach vierzehntägigem Lager machte ich den ersten Gehversuch. Anna half mir dabei und stützte mich. Das Bein schmerzte, aber es versagte nicht den Dienst. Ich humpelte durch den nächtlichen Garten von Ölbaum zu Ölbaum und war nach dieser jämmerlichen Übung so erschöpft, daß ich mich keuchend auf mein Lager strecken mußte.
»Es ist etwas Fremdes in der Wunde, was herausgeholt werden müßte«, sagte sie, »Clara Produtti macht so etwas mit einer geweihten Häkelnadel... Aber ich trau’ mich nicht, es zu machen, denn auch Clara passiert es manchmal, daß sie die Nadel trotz des Weihwassers nicht mehr herauskriegt, und das ist sehr schmerzhaft. Ohne ein Wunder wirst du nicht gesund werden, Lorenzo.«
Ich meinte, dieses Wunder könne auch ein Arzt vollbringen.
»Gewiß«, sagte sie ein wenig verletzt, »aber dann müßtest du dich den Karabinieri in Gargnano stellen. Und sie würden dich ins Lager bringen. — Es soll viele Lager geben, bei Udine und bei Rimini, mit Hunderttausenden gefangenen Soldaten. Man hört schlimme Dinge über die Ernährung.«
»So, wie es jetzt mit mir steht, komme ich auch nicht weiter.«
»Wart noch ein wenig ab. Es wird mit deinem Bein nicht besser, es wird aber auch nicht schlimmer. Man hört, daß die Amerikaner die Verpflegung der Lager übernehmen wollen. So lange würde ich an deiner Stelle warten. Hier hast du zu essen und bist immerhin ein freier Mann.«
Ja, ich war frei, aber es war doch eine sehr fragwürdige Freiheit. Je kürzer die Nächte wurden, um so länger mußte ich mich in meinem halbdunklen Steinverlies von zwei Schritt Breite und drei Schritt Länge verborgen halten. Ich schnitzte mir Schachfiguren und spielte Turniere mit einem Partner, den ich Ernesto nannte. Meistens gewann ich. Auch die Probleme, die ich erfand, wurden auf die Dauer langweilig. Anna brachte mir ein Spiel alter, fürchterlich schmutziger Tarockkarten. Sie hatte sie in einem Wirtshaus bekommen, und der Dreck von Generationen kartenspielender Fischer und Bauern klebte daran. Ich legte sämtliche Patiencen, die ich kannte, und erfand neue dazu, bis mich die Gesichter der Könige und Damen im Traum ängstigten. Mein Versteck konnte ich nur nachts verlassen. Und schien der Mond, so war es auch nachts nicht ratsam, denn ringsum lebten Nachbarn in ähnlichen Gartenhäusern, und die Frauen kamen oft nach getaner Arbeit auf eine Plauderstunde zu Anna herüber. Ich fürchtete Nonno Anselmo, und ich begann diese Weiber zu hassen, denn sie verkürzten mir die knappen Stunden, in denen ich Annas Gesellschaft genoß. Und es war wirklich Genuß und Erheiterung, ihr zuzuhören.
»Diese Weiber!« kicherte sie, wenn es ihr endlich gelungen war, den Besuch loszuwerden, »hast du sie gehört, Lorenzo? Die mit der fetten Stimme ist Clara Produtti, und die andere, die wie eine Henne gackert, die ein zu großes Ei legt, ist Carlotta Bartoli. Wenn sie zusammen kommen, dann schmieren sie sich den Honig pfundweise ums Maul. Aber du solltest sie einmal hören, wenn sie mich einzeln besuchen! Es gibt keine
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