Liebe und Vergeltung
gehen. „Es macht Spaß, nicht wahr?“ wandte sie sich an Elizabeth Weldon. Das Mädchen war wirklich ein hübsches Kind. Flachsblonde Locken lugten unter der spitzenbesetzten Schute hervor, und die Wangen waren vor Freude gerötet.
„Ja“, antwortete Eliza glücklich. „Man hat das Gefühl, gebraucht zu werden. Ich bin so froh, daß du Papa bald heiraten wirst. Ich kann es kaum erwarten, bei euch zu leben.“
Sara hatte angenommen, daß Elizabeth sich bei Charles’ älterem Bruder Desmond und dessen Gattin wohl fühlte. Offensichtlich gab es Probleme, die sie nicht kannte. „Gefallt es dir denn bei deinem Onkel nicht?“ fragte sie verwundert.
„Oh, doch!“ sagte Eliza überrascht. „Onkel Desmond und Tante Heather sind sehr nett zu mir. Ich werde sie vermissen, wenn ich nicht mehr bei ihnen bin. Aber ich möchte lieber bei euch wohnen.“ Sie hielt inne, und ein betrübter Ausdruck erschien in ihren blauen Augen. „Ich habe nie begriffen, warum ich nach Mamas Tod nicht bei Papa bleiben konnte. Manchmal denke ich, er schämt sich meiner.“
„Natürlich nicht!“ widersprach Sara bestürzt und legte dem Mädchen tröstend den Arm um die Schultern. „Wie kommst du nur auf diese Idee?“
„Papa ist so vernünftig und ein wichtiger Mann“, erklärte Eliza und warf noch eine Handvoll Brotstückchen ins Wasser.
„Ich bin nur ein kleines dummes Mädchen.“
„Meinst du, er hätte lieber einen Sohn gehabt?“
„Alle Väter wollen Söhne“, stellte sie altklug fest.
Sara krauste die Stirn. Offenbar hatte Elizabeth ein Gespräch belauscht, in dem jemand geäußert haben mußte, wie bedauerlich es wäre, daß Charles’ verstorbene Gattin ihm keinen männlich Erben geboren hatte. Bestimmt hatte die Bemerkung Elizabeth verletzt und war ihr nicht mehr aus dem Sinn gegangen. „Vor Jahrhunderten, als Männer ihr Land noch mit dem Schwert verteidigen mußten, waren Söhne sehr wichtig“, sagte Sara besänftigend. „Die Zeiten haben sich jedoch geändert, und heutzutage ist das nicht mehr so vorrangig. Mein Vater hat einmal geäußert, er hätte auch gern einen Stammhalter gehabt, doch erst als zweites oder drittes Kind. Ich weiß, dein Papa denkt nicht anders.“
„Glaubst du das wirklich?“ Hoffnungsvoll schaute das Mädchen Lady Sara an.
„Ja!“ versicherte sie. „Er hat mir gesagt, daß er sich sehr auf deine Rückkehr freut. Du weißt, er ist ein vielbeschäftigter Mann, und das war der Grund, warum du zu seinem Bruder gekommen bist. Er wollte nicht, daß du allein bist, und fand es besser, wenn du mit deinen Cousinen aufwächst. Vergiß also nie, daß er dich liebt. Du bedeutest ihm sogar noch mehr als ich.“
„Stört dich das nicht?“ fragte Eliza ängstlich.
„Nein, ganz und gar nicht. Die Gefühle eines Mannes für seine Gattin sind anderer Natur als die für seine Kinder. Die Liebe zu ihnen ist wohl deshalb stärker, weil sie ein Teil von ihm sind.“ Sara lachte verlegen. „Das muß ausgerechnet ich dir erzählen“, fügte sie schmunzelnd hinzu, „die nie verheiratet war und auch keine Kinder hat.“
Eliza schlang die Arme um Lady Sara und sagte ernsthaft: „Aber du wirst ja bald Papas Frau, und dann bekomme ich sicher Geschwister.“
„Welch ein Glück“, erwiderte Sara lächelnd, „daß ich mit dir schon eine große Tochter habe! Stell dir vor, wie lange es dauern wird, bis ich mit deinem Brüderchen oder Schwesterchen einkaufen gehen könnte.“
„Sind die Schwäne unansprechbar, oder kann man ihnen vorgestellt werden?“
Überrascht drehten Elizabeth und Sara sich um.
Prinz Balagrini schwang sich von dem bei Tattersall gekauften Schimmel und kam ans Ufer des Sees.
Der Anblick ließ Saras Herz schneller schlagen. Da Seine Hoheit keinen Zylinder trug, hatte der Wind ihm das schwarze Haar zerzaust. Einige Locken hingen ihm in die Stirn und gaben ihm ein verwegenes Aussehen. Der dunkelgrüne Cutaway war meisterhaft geschneidert, das Krawattentuch über der Ton in Ton gestreiften braunen Weste tadellos geschlungen, und die rehledernen Breeches hatten einen straffen Sitz.
Miss Elizabeth Weldon machte einen formvollendeten Knicks, der ihr sogar vor Ihrer Majestät der Königin zur Ehre gereicht hätte.
„Sie werden die hohen Herrschaften fragen müssen, ob sie Ihre Bekanntschaft machen möchten, Hoheit“, sagte Lady Sara schmunzelnd und reichte dem Prinzen die Hand zum Kuß. „Ich fürchte jedoch, Schwäne sind stolze Geschöpfe, die lieber ihres Weges ziehen.
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