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Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Titel: Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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und irgendwelche verrosteten Gerätschaften.
    Der ganze Hof zeigte ein gewisses Maß an Ordnung, zeugte aber nicht von Arbeitseifer. Am Haus blätterte weiße Farbe ab und wurde grau. Ein Fenster, dessen Scheibe zerbrochen sein musste, war mit Brettern vernagelt. Der verfallene Hühnerstall, aus dem die Füchse die Hühner geholt hatten. Ein Haufen Schindeln.
    Wenn ein Mann auf dem Hof war, musste er ein Invalide sein oder ein ausgemachter Faulpelz.
    Eine Straße führte daran vorbei. Eine kleine eingezäunte Wiese vor dem Haus, ein Schotterweg. Und auf der Wiese ein scheckiges, friedlich aussehendes Pferd. Er konnte verstehen, warum man sich eine Kuh hielt, aber ein Pferd? Sogar schon vor dem Krieg hatten die Farmer sie abgeschafft, die Zukunft gehörte den Traktoren. Und sie hatte nicht danach ausgesehen, als würde sie nur zu ihrem Vergnügen auf einem Pferd umherreiten.
    Dann dämmerte es ihm. Die Kutsche in der Scheune. Das war kein altes Gerümpel, das war alles, was sie hatte.
    Schon seit einer Weile hatte er ein sonderbares Geräusch gehört. Die Straße führte eine Anhöhe hinauf, und von der anderen Seite der Anhöhe kam ein Klick-klack, Klick-klack. Außer dem Klick-klack noch ein leises Zirpen oder Pfeifen.
    Und dann. Über die Anhöhe kam eine Kiste auf Rädern, gezogen von zwei kleinen Pferden. Viel kleiner als das auf der Weide, aber unendlich viel lebhafter. Und in der Kiste saßen etwa ein halbes Dutzend kleine Männer. Alle schwarz gekleidet, mit ordentlichen schwarzen Hüten auf den Köpfen.
    Das Geräusch kam von ihnen. Es war Gesang. Weiche, hohe, leise Stimmen, unsagbar lieblich. Die Männlein würdigten ihn keines Blickes, als sie vorbeifuhren.
    Ein Schauder lief ihm über den Rücken. Im Vergleich dazu waren die Kutsche in der Scheune und das Pferd auf der Wiese gar nichts.
    Er stand immer noch da und schaute hin und her, als er die Frau rufen hörte: »Alles fertig.« Sie stand neben dem Haus.
    »Hier geht’s rein und raus«, sagte sie an der Hintertür. »Die Vordertür klemmt seit letztem Winter, will einfach nicht mehr aufgehen, als wär sie immer noch festgefroren.«
    Sie gingen auf Brettern, die über unebenem Erdboden lagen, in der Dunkelheit, die das vernagelte Fenster spendete. Es war hier so frostig wie in der Mulde, in der er geschlafen hatte. Er war immer wieder aufgewacht, hatte versucht, sich so zusammenzukrümmen, dass ihm nicht kalt wurde. Die Frau fröstelte hier nicht – sie roch nach gesunder Anstrengung und wahrscheinlich nach Kuhfell.
    Sie goss frische Milch in eine Schüssel und bedeckte sie mit einem Stück Gaze, das bereitlag, dann führte sie ihn in den Hauptteil des Hauses. Die Fenster hier hatten keine Gardinen, so dass das Licht hereinströmte. Der Herd, der mit Holz beheizt wurde, war gerade benutzt worden. Es gab ein Spülbecken mit einer Handpumpe, einen Tisch mit einer Wachstuchdecke darauf, die an einigen Stellen völlig durchgescheuert war, und ein Sofa, auf dem eine vielfach geflickte alte Patchworkdecke lag.
    Auch ein Kissen, das etliche Federn verloren hatte.
    So weit, nicht so schlecht, wenn auch alt und verrottet. Alles, was man sehen konnte, war nützlich und in Gebrauch. Aber schaute man hoch, dann stapelten sich auf Borden dicht an dicht Zeitungen oder Zeitschriften oder einfach irgendwelche Papiere bis hoch zur Decke.
    Er musste sie fragen: Hatte sie nicht Angst, dass ein Feuer ausbrach? Beim Herd, zum Beispiel.
    »Ach, ich bin immer hier. Ich meine, ich schlafe hier. Es gibt keine andere Stube, wo ich die Zugluft aussperren kann. Ich pass schon auf. Ich hab noch nicht mal einen Ofenrohrbrand gehabt. Ein paarmal ist es zu heiß geworden, da hab ich einfach Backpulver draufgeschüttet. Nichts passiert.
    Meine Mutter musste sowieso hier sein«, sagte sie. »Gab keinen andren Platz, wo sie’s gemütlich hatte. Ich hab immer aufgepasst. Natürlich hab ich dran gedacht, die Zeitungen alle ins Wohnzimmer zu räumen, aber da ist es wirklich zu feucht, die würden völlig verschimmeln.«
    Dann sagte sie, sie hätte es erklären müssen. »Meine Mutter ist tot. Sie ist im Mai gestorben. Gerade als das Wetter anständig wurde. Sie hat noch im Radio vom Ende des Krieges gehört. Sie hat immer noch alles verstanden. Sprechen konnte sie schon lange nicht mehr, aber sie hat alles verstanden. Ich hab mich so an ihr Schweigen gewöhnt, dass ich manchmal denke, sie ist noch hier, aber das ist natürlich Quatsch.«
    Jackson fühlte sich verpflichtet, ihr sein

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