Liebesbrand
Tür um die Ohren fliegt.
War er im Recht? Ich wußte es nicht. Tyra würde mir wieder sagen, daß sich die große Liebe in meinem Kopf abspielte und daß
ein Mann, der eine Frau um Liebesgnade bekniete, ein Bettler war und kein Liebhaber. Ich hörte Gabriel von einem höheren Einsatz
reden, von Militanz, die sich in diesem Fall lohnte, und davon, daß er meiner Betäubung überdrüssig wäre, in einer fremden
Stadt ist man ein anderer Mensch, sagte er, und hör’ endlich auf, im verdammten Abseits zu stehen, und dann packte er mich
an den Schultern und schüttelte mich, es lief alles falsch, es konnte nicht gelingen, nicht mit dieser Betäubung und nicht
mit diesen Kopfschmerzen. Nicht mit diesem dunklen Zwilling in mir, der mir Nadeln in meine Zunge trieb, daß mir die Worte
fehlten, immer dann, wenn es galt, mit einem Hauch von Stimme zu sprechen. Einfach nur zu flüstern. Gabriel wollte wissen,
wieso ich eine solche Freude darüber empfand, schlecht unterhalten zu werden, |301| und natürlich blieb ich ihm die Antwort schuldig, und als wir wenig später im ›Schnitzelwirt‹ saßen, wickelte ich lustlos
die Spaghettifäden um die Gabel und wunderte mich nicht, daß Gabriel eine Dreiviertelstunde nach seiner Ankunft in Wien mit
einem alten Bekannten zusammensaß, er hieß Napp und war als ›kämpfender Maoist in einer Euro-Metropole‹ immer weiter abgerutscht,
nicht in die Illegalität, aber in das Elend, er schob seine schwarze Schiebermütze in die Stirn, dann wieder zurück in den
Nacken, der Maoismus, erzählte er mit Blick auf Gabriel, ist eine feine Kampfansage, aber dann kriegt man mit dem Knüppel
eins auf die Birne und fällt um, bei mir war es ein Schlag auf die blendend weißen Zähne, kein Volltreffer, sonst hätte ich
einen Stahlkiefer bekommen und könnte Türklinken durchbeißen, trotzdem, der Schlag saß und ich grollte den ganzen Tag, und
am nächsten Morgen habe ich meine Sachen in zwei Plastiktüten gepackt und bin nach Wien heruntergefahren, und dann, am Bahnhof,
sah ich dich, und schau einer an, du warst auch ein umherschweifender Maoist, und wir beide haben uns zusammengetan und eine
Bank ausgeraubt.
Was habt ihr? rief ich.
Das stimmt nicht, sagte Gabriel seelenruhig, wir haben nur einen Kunden auf dem Weg zur Bank um sein Bargeld erleichtert.
Wir hatten Strumpfmasken auf, sagte Napp, und die Pistole in deiner Hand war keine Spielzeugknarre.
Verjährt, sagte Gabriel.
Da wäre ich mir nicht so sicher, sagte Napp, hier in Österreich gelten andere Gesetze.
Wieviel Geld war es denn? sagte ich.
Umgerechnet ein paar tausend Mark, sagte Napp, der Bürger beging Diebstahl am Kollektiv, wir bestahlen den Dieb.
|302| Keine große Geschichte, stellte Gabriel fest.
Der Maoismus funktioniert nur, wenn man ein bißchen nachhilft, sagte Napp und schob seine Mütze wieder in die Stirn, dein
Kumpel Gabriel hat viel von der reinen Lehre geschwätzt. Aber wenn keiner zur Stelle war, um ihm auf die Finger zu klopfen,
hat er sich immer gut bedient.
Dialektik, sagte Gabriel.
Eher dialektischer Egoismus, sagte Napp.
Ich schob den Teller Spaghetti von mir, Napp kam Gabriel zuvor und schnappte nach dem Teller, die Soßenspritzer verteilten
sich über sein Hemd, doch es machte ihm nichts aus, er fragte, wer denn für das Essen aufkam, ich hob den Finger, daraufhin
bestellten die beiden Zwetschgenknödel, und danach Kaffee, und während sie beim Essen und beim Trinken den Blick im Saal schweifen
ließen, kommentierten sie zurückliegende Fälle, an denen sie die Schlechtigkeit des jeweils anderen dingfest machen wollten,
die Aneignung des Lumpenhaften war für sie der Weg zum Verfall, und sowohl Gabriel als auch Napp waren sich darin einig, daß
ein Lump kleinen Geschäften hinterherwieselte, wo doch ein Mann zur wahren Größe fand, wenn er liebte und raubte. An dieser
Stelle gab Gabriel ›die Suchmeldung‹ durch und beschrieb in groben Zügen mein ›Herzleiden‹.
Ein Maoist geht nie in den Ruhestand, sagte Napp. Ich war kurz davor, aufzustehen und den Schnitzelwirt zu verlassen, langsam
hatte ich die Nase voll von Bekennern.
Diese Frau ist neu in der Stadt, stellte Gabriel fest, hast du Kontakte zum Geschichtsinstitut?
Dort lehren sie die offizielle Staatsdoktrin, sagte Napp, da halte ich mich fern.
Verkaufst du noch alte Bücher?
|303| Das tue ich noch, sagte Napp, kein einträgliches Geschäft.
Gibt es unter deinen Kollegen welche, die
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