Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
er die Herrschaft über meine Existenz übernahm. Ich schwimme wieder in dem Becken am Rand unserer Moschawa, meine Tränen werden vom scharfen Chlorwasser geschluckt, gleich wird das Becken überlaufen, und nur ich werde den Grund wissen, und neben mir sehe ich die Augen meiner Mutter und meines Vaters, die mich begleiten wie zwei bunte Fischpaare, hin und her, gespannt verfolgen sie mich. Vorhin haben wir alle auf dem Rasen gesessen, meine Mutter schnitt eine große Wassermelone entzwei und sagte, sie würden sich scheiden lassen, ab sofort hätten wir zwei Wohnungen, denn Papa würde hierbleiben, in der Moschawa, und sie würde mit uns in die Stadt gehen, und mein Bruder hüpfte auf einem Bein herum und rief, ja, zwei Wohnungen, und ich betrachtete sie entsetzt und fing an zu rennen, um dieser Nachricht zu entkommen, versteckte mich tief in den Sträuchern, die um das Schwimmbecken wuchsen, und plötzlich spürte ich einen Stich in der nackten Fußsohle und schrie, Mama, ich habe einen Dorn im Fuß, und mein Vater rannte zu mir und hob mich hoch, obwohl er einen kaputten Rücken hatte und nichts tragen durfte, aber es war kein Dorn, an meinem weichen Fußballen klebte eine Biene, deren Los entschieden war, ihr Stachel steckte tief in mir, und sie bewegte sich noch kurz, bis sie tot war, und ich brüllte erschrocken los, zieh mir den Stachel raus, Papa, worauf wartest du.
Ich finde ihn nicht, murmelte er, er legte mich in das warme Gras und beugte sich über mich, sein Unterkiefer war vorgeschoben wie der eines Boxers, darüber die vollen, roten Wangen eines Babys, ich finde ihn nicht, und mein Bruder fragte, ob man mich operieren müsse, ob man meinen ganzen Körper aufschneiden müsse, um den Stachel zu finden, und ich lag da, zwischen ihnen, der Schmerz des Stichs strahlte in meinen ganzen Körper aus, die Sonne stürzte sich in meine Augen, hungrig und furchteinflößend wie ein gelber Adler, ich spürte, wie mich der Kummer verschlang, bis nichts mehr von mir übrigblieb, nur dieser Schmerz im Bein, der mir bewies, daß ich noch lebte, ohne ihn wäre ich schon tot, was mir aber in diesem Moment nicht so schlimm vorkam. Ich wäre lieber tot gewesen, als nun in die Wohnung umzuziehen, die meine Mutter in der Stadt gemietet hatte, ich wollte lieber tot sein, als anzufangen, zwischen ihnen hin- und herzuwandern, zu sehen, wie er sich in seiner Trauer wälzte, und sie mit ihrem angestrengt wilden Leben versuchte, ihr Verbrechen zu rechtfertigen, ich dachte, wenn ich sterbe, bleiben sie vielleicht zusammen, um das wenige zu bewahren, das ihnen geblieben war. Ich würde ihnen nicht erlauben, mir das anzutun, ich kniff mit Gewalt meine Augen zu, um das Pogrom gegen mich nicht zu sehen, es war ein Pogrom, nicht besser als die Pogrome gegen die Juden, wenn man in ihre Häuser einbrach und alles zerstörte, das hatten wir gerade in der Schule gelernt, voller Angst dachte ich an meine Klasse, was würden die Kinder sagen, bei uns gab es nur einen Jungen, dessen Eltern geschieden waren, er war ein Außenseiter, niemand wollte etwas mit ihm zu tun haben, und nun war ich also mit ihm in einer ekelhaften Schicksalsgemeinschaft verbunden, eine Welle von Haß schlug über mir zusammen und riß mich mit.
Meine Mutter beugte sich über mich, ihr Gesicht war besorgt, sie wollte nicht, daß ihre Pläne durchkreuzt würden, und ich drehte mich auf den Bauch, um ihre abscheuliche Schönheit nicht zu sehen, ich grub meine Finger ins Gras, und sie sagte, das ist nicht das Ende der Welt, es wird uns so besser gehen, und ich brüllte, dir wird es besser gehen, aber mir nicht, mir wird es schlecht gehen, wegen dir wird es mir immer schlecht gehen, du bist die Biene, die mich gestochen hat, und der Stachel wird für immer in meinem Körper bleiben, aber die Biene ist wenigstens gestorben, während du glaubst, daß du am Leben bleiben kannst, nachdem du mich gestochen hast, dann stand ich auf und hüpfte auf einem Bein fort, ich hielt mich an den Sträuchern fest, an den Klappstühlen, fiel in das Wasser und tauchte hinab, ich versuchte, die Luft anzuhalten, und sah vor meinem geistigen Auge, wie sie bald meine Leiche berühren würden, es war so einfach, ich brauchte bloß aufzuhören zu atmen, ich mußte nur diese ungehörige Angewohnheit zu atmen beherrschen, und nun, in diesem geschlossenen, geschützten Schwimmbad, gegen dessen Scheiben dünner Regen schlägt, versuche ich es wieder, aber nicht mit dem Ernst von damals, ich tauche
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