Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
murmele, wirklich? Klar, sagt er, du mußt mich in einer Nacht für jahrelange Gleichgültigkeit entschädigen, und ich drehe mich auf den Bauch, erst schlafen wir ein bißchen und essen was, aber er läßt nicht locker, ein kalter und glatter Gegenstand rollt über meinen Rücken, glättet mich wie ein Nudelholz. Glaubst du, du kannst dich einstweilen damit zufriedengeben, schnauft er mir ins Ohr, und ich sage, genug, Udi, es reicht, aber zwischen meinen Beinen drängt sich der runde Mund der Flasche schon vorwärts, zu einem tiefen, kalten, gläsernen Kuß.
Beim Abendessen strahlt er mich über seinen vollen Teller hinweg an, mir wird schwindlig bei dieser Fülle von Essen und Trinken, von Gerüchen und Lichtern, von der Fülle an Liebe, mit der er mich umgibt, erstaunt betrachte ich ihn, seine provozierende Bräune, seine Lippen, von denen eine leichte, aggressive Begierde ausgeht, er trägt ein Jeanshemd und helle Hosen, er kaut langsam und genüßlich, nicht wie ich, deren Teller schon leer ist, er schimpft mit mir, was hast du, du kannst nichts genießen. Ich stehe auf, um mir noch etwas zu holen, ziehe mir das schwarze Kleid über den Schenkeln glatt, ein Mann vom Nebentisch schaut zu mir herüber, aber ich beachte ihn nicht, so schlecht geht es uns doch gar nicht, wie schnell tun sich Klüfte auf, man klopft leicht auf die Erde, und plötzlich öffnet sich ein Loch, das aussieht, als würde es sich nie mehr schließen. Es ist richtig, daß ich es anfangs war, die ihn nicht aus ganzem Herzen begehrte, ich war neidisch auf meine Freundinnen, die ihre Partner wechselten, während ich noch immer den kleinen Freund aus der Parallelklasse hatte, und ich dachte, wenn ich stark genug wäre, würde ich versuchen, mich von ihm zu trennen, und mir einen neuen Freund suchen, einen, der mich mehr begeistern würde, aber ich traute mich nicht, und er hing so sehr an mir, daß es mich manchmal nervös machte, es war zu leicht. Laß sie doch ein bißchen wachsen, sagte meine Mutter oft zu ihm, gib ihr Luft, du erstickst sie ja mit deiner Liebe, sogar im Jemen heiratet man in diesem Alter noch nicht, aber er klebte an mir, meine Brüste wuchsen ihm unter den Händen, und wenn ab und zu irgendein Verehrer auftauchte, schaffte er es, ihn mit seiner kindischen Sturheit zu vertreiben. So war er, ein kleiner Junge, der mich beherrschte, nur ich liebe dich wirklich, hatte er mir gedroht, glaubst du etwa, jeder würde dich lieben? All die anderen werden dich verführen und dann fallenlassen, glaub mir, und ich saß neben ihm, gescholten, und bedachte, was er gesagt hatte, betrachtete enttäuscht seine geringe Körpergröße, den dummen Pony, der ihm in die Augen hing, und ich wußte, daß außerhalb seines erstickenden Hauses mit den mißmutigen alten Eltern eine ganze Welt wartete, wild und begeisternd, und daß nur ich es nicht schaffte, sie zu erlangen, aber ich schaffte es auch nicht, seinen kleinen Wuchs zu übersehen, bis er eines Abends sagte, mir geht es auf die Nerven, dein verbittertes Gesicht anzuschauen, ich brauche keine andere, aber wenn du meinst, daß irgendwo ein Besserer auf dich wartet, solltest du das ausprobieren. Ich schaute ihn erschrocken an, statt des Zaubers der Befreiung packte mich Angst, ich fühlte eine innerliche Leere, wie das Loch in einem Zahn, das immer größer wird und von einem Ohr bis zum anderen weh tut, weinend kam ich nach Hause, und meine Mutter sagte, endlich hat er etwas Richtiges getan, und du, vergeude nicht deine Zeit mit Klagen, geh und tob dich endlich aus. Ich war damals kaum siebzehn und hatte das Gefühl, mein Leben sei schon zu Ende, mein ganzes Interesse an der Welt da draußen war mit einem Mal verschwunden, in seinen Armen konnte ich von anderen Liebschaften träumen, aber als ich ohne ihn war, wollte ich ihn nur zurückgewinnen, und statt sich zu ärgern, wuchs er und wurde breiter, in den Pausen sah ich ihn mit anderen Mädchen herummachen, ich sah den Stolz auf ihren Gesichtern, den Widerstand auf seinem, und ich fühlte mich wie eine Mutter, deren Sohn sich eine andere Mutter aussucht. Mit hohlem Bauch flehte ich ihn an, zu mir zurückzukommen, ich wartete nach dem Unterricht auf ihn, überraschte ihn zu Hause, du hast mich doch geliebt, es kann doch nicht sein, daß du aufgehört hast, mich zu lieben, und am Schluß kam er zurück, einige Monate später, aber etwas zwischen uns war zerbrochen, ohne daß wir es erkannten, ein bitteres, forderndes Mißtrauen beherrschte
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