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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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Befehl erteilte – »nehmen Sie meine Entschuldigung an« hinzufügte.
    »Nun gut.« Wenn es denn sein musste.
    »Bitte setzen Sie sich.«
    Ich setzte mich.
    »Kann ich Ihnen etwas kommen lassen?«
    Ich war heiser. Ich brauchte ein Glas Wasser. Er rief den Wachmann und befahl ihm, eine Kanne Wasser und ein Glas zu bringen. Auf seinem Schreibtisch lag ein offener rosafarbener Aktenordner, der mehrere Blätter enthielt. Während ich trank, blätterte er sie durch. Alles sehr theatralisch. Ich erinnere mich an seine Altmännerhände, welk und klein, wie die eines greisen Chinesen. Er erinnerte mich an meinen alten Schuldirektor, der es geliebt hatte, mit derlei Imponiergehabe zu zeigen, wer der Boss war.
    »Ich habe mir Ihre Akte angesehen.«
    Was zum Teufel? »Was für eine Akte?«
    Er ignorierte meine Frage. »Sie haben vor nicht allzu langer Zeit versucht, ein politisches Traktat zu veröffentlichen.«
    »Ich habe nichts dergleichen getan«, erwiderte ich.
    »Ach nein?« Er sah mir direkt in die Augen.
    »Nein«, sagte ich. Was das anging, war ich mir sicher. Ein Gedanke nahm Gestalt an. Nein, ich wagte es nicht, ihn zuzulassen. Es hatte eine Verwechslung gegeben. Einen Irrtum. Durchaus möglich, dass er auf Johnsons Konto ging. Ich hätte ihm vielleicht noch eins auswischen können. Aber es wäre nicht gut gewesen, ihn zu reizen, ihn dazu zu treiben, sich rechtfertigen zu müssen. Ich wahrte einen neutralen Ton, als ich fortfuhr: »Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor, eine Verwechslung. Vielleicht hat mich jemand mit jemand anderem verwechselt.« Ich vermied es ganz bewusst, die zweite Person Singular zu verwenden. Nicht sein Fehler, irgendjemandes Fehler. Männer, denen es um Macht und die Zurschaustellung von Macht ging, brauchten irgendeinen Gesichtsrettungsmechanismus.
    »Wer?«
    »Ich weiß nicht, einer Ihrer Ermittler vielleicht.«
    »Ich frage nicht, wer diesen Fehler gemacht hat. Ich frage Sie, wer es ist, mit dem ich Sie Ihrer Ansicht nach verwechselt habe.«
    Das brachte mich aus dem Konzept, muss ich gestehen, wie er die Sache sofort auf sich bezog. »Ich weiß es nicht«, erwiderte ich.
    »Denken Sie an jemand Bestimmtes? Jemand anders, der ein politisches Traktat verfasst hat? Ein Kollege vielleicht?«
    »Nein. Nichts dergleichen.« Er hatte eine verwirrende Art an sich, so undurchschaubar und unberechenbar wie eine Katze. Ich sagte: »Ich sage Ihnen lediglich, dass ich nicht versucht habe, ein Traktat oder ein Manifest oder eine sonst wie geartete politische Schrift zu veröffentlichen. Ich befasse mich nicht mit Politik.«
    Die ganze Zeit über hatte er kein Auge von mir gewandt. Zu meinem Ärgernis stellte ich fest, dass ich anfing zu schwitzen, kleine prickelnde Bäche an meinen Unterarmen, meiner Wirbelsäule hinunter. Jetzt senkte er den Blick und las von einem der vor ihm liegenden Blätter ab, wobei er mit dem Zeigefinger den Wörtern folgte: »Gedanken zum Wandel der politischen Dynamik«. Es war der Titel des Artikels, den ich bei der Fakultätszeitschrift eingereicht hatte. Sosehr ich mich auch um Fassung bemühte, spürte ich, wie die Muskeln meines Herzens sich zusammenzogen, ein winziges Zucken.
    »Das ist die Überschrift eines meiner Aufsätze«, sagte ich. »Ich habe ihn bei unserer Universitätszeitschrift eingereicht. Er wurde abgelehnt.«
    »Sie geben also zu, der Verfasser zu sein?«
    Warum beharrte er darauf, eine solche Ausdrucksweise zu verwenden? In seiner paranoiden Welt gab es keine schlichten Fakten. Alles war eine Anschuldigung, ein Geständnis.
    »Ja«, räumte ich ein. Und fügte hinzu: »Es ist ein wissenschaftlicher Aufsatz, kein Manifest. Lesen Sie ihn, und Sie werden es selbst sehen.«
    Er hob die Akte mit Daumen und Zeigefinger hoch; er schüttelte sie, um ihre Dürftigkeit vorzuführen.
    »Wie es aussieht, ist der Artikel nicht in Ihrer Akte enthalten. Vielleicht können Sie mir dessen Inhalt mündlich wiedergeben.«
    »Ja, natürlich.« Ich atmete tief durch und begann, den Kontext des Aufsatzes zu umreißen, war mir dabei peinlich bewusst, wie jeder Satz, jede Wortwahl klang und wie sein Kopf, stets auf der Suche nach dem Verräterischen, nach dem Inkriminierenden, das alles verarbeiten und abspeichern würde. Ich konzentrierte mich darauf, die Details bestimmter harmloser Verfassungsänderungen und der Bildung staatlicher Organe in den Fünfzigerjahren zu referieren. Ich hütete mich, irgendwelche Namen zu nennen. Das ist ein kleines Land, man wusste

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