Lincolns Träume
in Wirklichkeit ist dein Gegner Broun.«
Er pausierte lange genug, damit ich sagen konnte: »Du bist der Gegner, du Bastard.«
»Dein Bewußtsein kann nicht akzeptieren, daß du auf Broun zornig bist, weil sein Name auf den Büchern steht, die du recherchiert hast, und deshalb verschleiert dein Unbewußtes diesen Zorn, indem es Annies neurotische Träume zu Robert E. Lees Träumen macht. Auf diese Weise kann dein Unbewußtes Broun den Krieg erklären, so wie Lee Lincoln den Krieg erklärt hat. Das ist ein weitverbreitetes Phänomen bei neurotischen Patienten.«
»Und wie steht es damit, Patienten unter Drogen zu setzen? Ist das ein weitverbreitetes Phänomen bei neurotischen Psychiatern?«
Annie war in ihrem Nachthemd im Türrahmen aufgetaucht. Sie sah verängstigt aus. »Mit wem hast du gesprochen, Jeff? Mit Richard?«
»Ich habe mit niemandem gesprochen«, sagte ich und streckte ihr den Telefonhörer hin, damit sie zuhören konnte. »Es ist der Anrufbeantworter. Richard weiß nicht, wo wir sind, also versucht er dich auf diese Art zurückzuholen, mittels Fernanalyse. Du wirst dich freuen zu hören, daß ich heute derjenige bin, der verrückt ist.« Ich hielt den Hörer wieder ans Ohr. »Das kann eine Weile dauern. Brouns Anrufbeantworter kann bis zu drei Stunden Nachrichten speichern. Warum ziehst du dich nicht an, und wir gehen frühstücken. Um elf sind wir mit dem Veterinär verabredet.«
Sie nickte und verschwand im anderen Zimmer. Ich hörte mir den Rest von Richards Ansprache an, vergewisserte mich, daß Broun nicht noch eine weitere Nachricht durchgegeben hatte und löschte alles auf dem Apparat. Wenn Broun unterwegs war, rief er im allgemeinen keine Nachrichten ab. Er hinterließ Nachrichten für mich, wo er zu erreichen war, und dann ließ er mich zurückrufen und die Dinge durchsagen, die keinen Aufschub duldeten. Ich glaubte nicht, daß er auf dieser Reise seine Nachrichten abgerufen hatte, zumal dann nicht, wenn er glaubte, daß ich da sei, um sie entgegenzunehmen, aber ich hielt es für besser, den Apparat täglich anzurufen, um sie abzuhören und das Band gegebenenfalls zu löschen. Ich wollte nicht, daß Broun Richards Gerede zu hören bekam.
Annie kam zurück und stellte sich wieder in den Türrahmen. »Ihr wart einmal befreundet, nicht wahr?« sagte sie. »Vor alldem.«
»Wir waren Stubenkameraden. Ich schätze, wir waren Freunde, aber wir haben uns schon lange in verschiedene Richtungen entwickelt.« Ich zog mein Jackett an. »Er war der Meinung, ich sollte an Stelle von Geschichte besser etwas Nützliches studieren.«
»Tut mir leid«, sagte Annie.
»Was? Daß ich Geschichte studiert habe?« Ich grinste sie an. »Es hat sich vielleicht doch als gar nicht so nutzlos erwiesen.«
Wir gingen hinüber zum Coffeeshop. Es war voller Menschen, die aussahen, als wären sie unterwegs zur Kirche. Wir hatten eine andere Serviererin als die, die uns am Vortag mit Kaffee versorgt hatte, einen hübschen Rotschopf, kaum älter als Annie, aber sie kam ebenfalls sofort mit der Kaffeekanne herüber. »Sie sind bestimmt Touristen«, sagte sie, als sie die Karte von Virginia sah, die ich mitgebracht hatte. Sie zog zwei Speisekarten unter dem Arm hervor und reichte sie uns. »Waren Sie schon auf dem Schlachtfeld?«
»Nein«, sagte Annie. »Wir waren noch nicht dort draußen.«
»Ich glaube, das sollten sie aber sehen. Es ist das einzige, wofür Fredericksburg berühmt ist.« Sie stellte die Kaffeekanne ab und fischte einen Bestellblock aus ihrer Tasche. »Die Nationalparksverwaltung hat es wirklich hübsch hergerichtet. Es gibt eine elektrische Karte, alles mögliche. Also, was hätten Sie gern? Eier? Pfannkuchen?«
Die Serviererin nahm unsere Bestellung auf, verabreichte unseren halbvollen Tassen, was sie eine ›Auffrischung‹ nannte, und ging zur Küche.
»Sagtest du, die Verabredung mit dem Tierarzt wäre um elf?« sagte Annie.
»Ja, aber es liegt außerhalb, deshalb sollten wir uns Zeit nehmen, es zu finden. Du hattest heute nacht keine neuen Träume mehr, oder?«
Sie schüttelte den Kopf.
»War der Traum anders als die anderen? Ich meine, ich weiß, daß er von Fredericksburg handelte, aber war er von derselben Art wie die anderen?«
Sie dachte eine Minute lang darüber nach. »Er war klarer als die anderen Träume. Ich weiß nicht genau, wie ich es beschreiben soll, aber er hatte mehr Sinn.« Sie schüttelte wieder den Kopf. »Nein, das trifft es nicht. Ich habe immer noch keine Ahnung, wo
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