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Linda Lael Miller

Linda Lael Miller

Titel: Linda Lael Miller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denn dein Herz kennt den Weg
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nur seine Tochter das Geheimfach kannte.
    Die Verse
waren leidenschaftliche, tiefempfunden Liebesbeteuerungen und waren in
Eleanoras zierlicher Handschrift verfaßt. Christian Lithwell war das Thema
eines jeden einzelnen. Melissande spürte, wie sie erblaßte, und ließ sich
kraftlos in den Sessel sinken. Die Gedichte enthüllten Eleanoras Leidenschaft,
dann ihre wachsende Enttäuschung. Christian, so schien es, hatte ihre Gefühle
nie erwidert, und mit der Zeit war sie so zornig auf ihn geworden, daß sie
geschworen hatte, sich an ihm zu rächen. Melissande hatte nie etwas von dem
Drama geahnt, das sich direkt vor ihren Augen entfaltete, aber ihr Vater hatte
es gewußt. 0 ja, er mußte es gewußt haben – denn sonst hätte er niemals
die Gedichte an sich genommen und sie im Geheimfach seines Sekretärs verwahrt.
    Vielleicht
hatte Bradgate vorgehabt, seine treulose Frau damit zu erpressen – sie konnten
als Ehebruch gedeutet werden, womit sie die Grundlage für eine Auflösung des
Ehevertrags geboten hätten. Eine Scheidung, auf diese Weise sanktioniert, hätte
Melissandes Vater die Möglichkeit gegeben, unverzüglich eine neue Ehe
einzugehen, um mit einer anderen Frau den männlichen Erben zu zeugen, den er
sich schon so lange wünschte.
    Erschüttert
schloß Melissande die Augen. Es mußte also Eleanora gewesen sein – oder sogar
John – die Christians Entführung arrangiert und veranlaßt hatte, damit er auf
eine der Galeeren der Bradgate Company gebracht wurde – mit Lord James'
Unterstützung selbstverständlich. Melissande hatte es zuerst nicht glauben
wollen, als Christian den Verdacht geäußert hatte, aber eine andere vernünftige
Erklärung gab es leider nicht.
    »Mylady?«
Seine Stimme klang in ihre Gedanken.
    Sie schaute
auf und massierte ihre Schläfen, in der sinnlosen Hoffnung, Kopfschmerzen vorschützen
zu können. Christian stand in der Tür, unrasiert und mit zerdrückten Kleidern.
Er hatte die Nacht auf einer Strohmatratze auf dem oberen Korridor verbracht,
den Dolch, den sie ihm gekauft hatte, in der unverletzten Hand, und als Melissande
ihn geweckt und ziemlich grob darauf bestanden hatte, daß er ging, hatte er
sich geweigert.
    »Ja?«
    »Wenn du
mir ein Pferd leihen könntest, würde ich heute nach Wellingsley Castle reiten.«
    Melissande
schluckte. »Eleanora liebte dich«, sagte sie und hielt zum Beweis den Stapel
ungelenker, übertrieben sentimentaler Dichtversuche hoch. »Warum hast du mir
nie etwas davon gesagt?«
    »Sie hat
sich etwas eingeredet«, erwiderte Christian. Er kam nicht näher, aber er wich
auch nicht zurück. »Ich habe es dir nie gesagt, weil ich die Beziehung zwischen
dir und deiner Stiefmutter nicht noch zusätzlich verschlechtern wollte.«
    »Du hattest
recht mit deinem Verdacht«, erklärte Melissande. »Es war wirklich mein Vater,
der deine Entführung arrangierte, bedrängt von Eleanora und deinem Bruder
James, die beide ihre eigenen Gründe hatten, dich aus dem Weg zu schaffen.«
    Ein harter
Zug erschien um Christians Kinn, sein Blick glitt zu den Papieren in ihrer
Hand. »Was hast du da, was dich zu einer solchen Schlußfolgerung veranlaßt?«
    »Die Seele
meiner Stiefmutter«, entgegnete Melissande betrübt und
übergab ihm die Gedichte, als er das Zimmer durchquerte und vor ihr
stehenblieb. »Wieso bist du so sicher, daß ich diejenige war, die dich
verraten ließ, Christian? Weil es das Schlimmste wäre, was passieren könnte,
und du darauf gefaßt sein willst?«
    Er
schleuderte die Gedichte auf den Sekretär. »Du scheinst zu vergessen,
Melissande, daß deine Unterschrift unter dem
Schriftstück stand, in dem dem Kapitän der Eleanora befohlen wurde, mich
gefangenzunehmen und zum Galeerendienst zu zwingen.«
    Tiefempfunden
Scham erfaßte Melissande für einen Moment. »Es ist möglich, daß ich diesen
schmählichen Befehl
unterzeichnet habe, aber wenn, dann in der sicheren Überzeugung, es handelte
sich um irgendein harmloses Dokument. Ich war damals noch dumm genug, zu
glauben, was die Menschen mir erzählten.«
    »Das
bezweifle ich nicht«, sagte Christian. »Aber wirst du mir nun ein Pferd leihen
oder nicht?« Sie wußte, daß er lieber über glühende Kohlen gelaufen wäre, als
darum zu bitten.
    »Ja«,
antwortete sie und verbarg den Schmerz, den er ihr zufügte, hinter einer
ausdruckslosen Miene, als sie einen
Beutel von ihrem Gürtel nahm und ihn vor Christian auf die Schreibtischplatte
warf. »Geh und kauf dir ein anständiges Pferd, um nach

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