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Linda Lael Miller

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Titel: Linda Lael Miller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denn dein Herz kennt den Weg
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gehen.
    Gegen
Mittag erreichten die drei Reisenden das größte von Christians Besitztümern und
wurden auf der krächzenden Zugbrücke von einigen wenigen treuen Dienstboten,
einem mageren Hund und mehreren schmutzigen Kindern in Empfang genommen. Einer
der Männer trat mit großen Augen vor und stieß einen gellenden Schrei aus, der
sowohl Freude wie auch Schmerz hätte bedeuten können, und streckte die Hand
aus, um Christians verletztes Bein zu berühren.
    Robert, der
auf einem der prächtigen neuen Pferde saß, strahlte, als sei er in gewisser
Weise dafür verantwortlich, daß dieses Wiedersehen zustande kam.
    »Mein Herr
Christian!« schluchzte der alte Hausverwalter. »Es ist ein Wunder – die
Jungfrau hat unsere Gebete erhört und Euch zu uns zurückgeschickt ...«
    »Hallo,
Willy«, sagte Christian leise.
    »Wir haben
seit vielen Tagen nichts mehr zu essen, Herr«, klagte Willy. »Unsere
Vorratsräume sind leer, und das bißchen Weizen, das wir ausgesät hatten, ist
von Schurken plattgeritten worden ...«
    Christian
löste den Proviantbeutel mit Brot, Dörrfleisch und Käse, die er morgens in
Taftshead besorgt hatte, von seinem Sattelhorn und warf ihn Willy zu. Der alte
Mann fing ihn auf und beeilte sich, den Sack zu öffnen, während die hungrigen
Kinder ihn umringten.
    »Warum seid
ihr geblieben?« fragte Christian und schaute mit abgrundtiefer Trauer in den
Augen zu, wie Willy und die anderen gierig aßen. Melissande nahm etwas Käse aus
der Tasche ihres Kleids und warf ihn dem Hund zu.
    »Wohin
hätten wir denn gehen sollen, Herr?« entgegnete Willy, während er ein großes
Stück des braunen Brots kaute.
    »Seid
vorsichtig«, wandte Melissande ruhig ein. »Ihr werdet krank, wenn ihr zuviel
auf einmal eßt.«
    »Was ist
mit Queech, dem Diener meines Bruders?« fragte Christian gespannt. »Ist er
inzwischen auf die Burg zurückgekehrt?«
    Willy
spuckte verächtlich auf den Boden. »Zur Hölle gefahren ist er, hoffe ich«,
murmelte er. »Und möge der Teufel seine Zehen rösten, als wenn's Kastanien
wären!«
    Damit
ergriff der alte Diener die Zügel von Christians Pferd und führte das Tier
durch die offenen Tore in den äußeren Burghof. Es würde nichts mehr über Queech
gesagt werden, zumindest nicht, solange Melissande zugegen war.
    Wellingsley,
das einst eine der schönsten Burgen in ganz England gewesen war, befand sich in
einem Zustand vollkommener Verwahrlosung. Weit und breit waren weder Hühner,
Enten oder Gänse zu sehen, und erst recht natürlich keine Schweine oder Rinder.
Die Kornscheunen waren leer, nicht anders als die Weinkeller und Molkerei.
    Erst als
sie die großen Tore der eigentlichen Burg erreichten, nahm Willy zum erstenmal
Notiz von Melissande und sagte dann genau das Falsche. Als er ihr beim
Absitzen behilflich war, blickte er ihr ins Gesicht und rief: »Ihr seid es –
dasselbe Mädchen, das einst versuchte, sich von unserer Burgmauer zu stürzen
...«
    Melissande
errötete – sie war nicht stolz auf jene Episode und hätte es vorgezogen, sie
Christian nicht mehr in Erinnerung zu rufen. Aber jede Hoffnung, er habe Willys
Worte vielleicht überhört, machte er sofort zunichte.
    Nach einem
scharfen Blick in ihre Richtung ergriff er entschieden ihren Arm. »Kümmere dich
um die Pferde, Willy«, befahl er, und als der alte Diener die Zügel beider
Pferde genommen hatte und sie zu den Ställen führte, zog Christian Melissande
in die Ungestörtheit der großen Eingangshalle. »Du hast versucht, von der
Burgmauer zu springen? Du?«
    Erinnerte
er sich nicht? Soviel hatte sie ihm bereits gestanden, in einem unbedachten
Augenblick im Kloster von St Bede's.
    Melissande
biß sich auf die Unterlippe und nickte schweigend.
    »Warum?«
fragte Christian leise, und dieses einzelne Wort klang mindestens so bedrohlich
wie der Dolch aussah, den er am Gürtel trug.
    »Weil ich
dachte, du wärst tot.« Melissande holte einen tiefen Atemzug und atmete dann
langsam wieder aus. »Christian, wir haben das schon besprochen ...«
    »Ich
erinnere mich nicht daran«, sagte er, und an dem Blick in seinen Augen erkannte
sie, daß er die Wahrheit sprach. Seine Verletzungen waren so schwerwiegend
gewesen, daß er von Glück sagen konnte, sich überhaupt an irgend etwas erinnern
zu können.
    Er fluchte
verhalten, als sie nichts mehr sagte. »Daß du etwas so Dummes versuchen würdest
...«
    »Ich war
ein Kind und glaubte, der Mann, den ich liebte, sei auf See ertrunken. Hätte
ich die Wahrheit gekannt –,

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