Little Brother
verklagt?
Pigspleens Gründerin hatte die Antwort. Sie machte Verträge mit allen Acts, die mit ihren Fans arbeiten wollten, statt sie zu bekämpfen. Du gibst Pigspleen eine Lizenz, deine Musik unter deren Kunden zu verbreiten, und bekommst dafür einen Anteil an den Abogebühren, der sich danach richtet, wie populär deine Musik ist. Für einen Indie-Künstler ist nicht Raubkopieren das Problem, sondern Unbekanntheit: Niemand interessiert sich auch nur genug für deine Musik, um sie zu klauen.
Es funktionierte. Hunderte unabhängiger Künstler und Plattenfirmen unterzeichneten bei Pigspleen, und je mehr Musik es gab, desto mehr Fans wechselten zu Pigspleen als Internet-Anbieter und desto mehr Geld gab es für die Künstler. Binnen eines Jahres hatte der Provider hunderttausend neue Kunden, und inzwischen hatte er eine Million - mehr als die Hälfte aller Breitband-Anschlüsse in der Stadt.
"Ich hab schon seit Monaten auf dem Zettel, den indienet-Code zu überarbeiten", sagte Jolu. "Die ursprünglichen Programme waren schnell zusammengekloppt, und mit nem bisschen Arbeit könnten sie viel effizienter gemacht werden. Aber ich hatte noch keine Zeit dafür. Einer der Punkte ganz oben auf der Liste ist, die Verbindungen zu verschlüsseln, weil Trudy das gern so möchte."
Trudy Doo war die Gründerin von Pigspleen. Außerdem war sie eine alte Punk-Legende in San Francisco, Frontfrau der anarcho-feministischen Band Speedwhores, und Privatsphäre war ihre fixe Idee. Ich glaubte sofort, dass sie schon aus Prinzip ihren Musik-Dienst verschlüsselt haben wollte.
"Wird das schwer? Ich mein, wie lange dauert das?"
"Na ja, massenweise Krypto-Code gibt's schon online für lau", sagte Jolu. Jetzt tat er wieder das, was er immer tat, wenn er an einem kniffligen Programmierproblem kaute: Er bekam diesen abwesenden Blick, trommelte mit den Händen auf dem Tisch und ließ den Kaffee überschwappen. Mir war nach Lachen zumute - und wenn alles um ihn rum den Bach runterginge, Jolu würde diesen Code schreiben.
"Kann ich helfen?"
Er schaute mich an. "Was, glaubst du nicht, dass ichs allein hinkriege?"
"Was?"
"Na ja, du hast das ganze Xnet-Ding allein aufgezogen, ohne mir auch bloß was zu erzählen; ohne mit mir drüber zu reden. Und dann dachte ich so, wahrscheinlich brauchst du bei so was meine Hilfe gar nicht."
Jetzt hatte er mich kalt erwischt. "Was?", wiederholte ich. Jolu sah mittlerweile richtig aufgebracht aus. Es war klar, dass das schon eine ganze Weile an ihm genagt hatte. "Jolu ..."
Er sah mich wieder an, und jetzt merkte ich, dass er richtig sauer war. Wie hatte ich das übersehen können? Oh Gott, manchmal war ich echt so ein Idiot.
"Weißt du, Kumpel, es ist keine große Sache ..." - womit er eindeutig meinte, dass es eine verdammt große Sache war - "ich meine, du hast mich nicht mal gefragt. Hey, ich hasse das DHS. Darryl war auch mein Freund. Ich hätte dir wirklich dabei helfen können."
Ich wollte den Kopf zwischen den Knien vergraben. "Hey, Jolu, das war echt bescheuert von mir. Ich hab das halt so um zwei Uhr morgens gemacht. Ich war irgendwie rasend, als das passierte. Ich ..." Ich konnte es nicht erklären. Er hatte Recht, und das war das Problem. Okay, es war nachts um zwei Uhr gewesen, aber ich hätte ihm am nächsten oder übernächsten Tag davon erzählen können. Aber ich hatte es nicht getan, weil ich wusste, was er sagen würde - dass es ein hässlicher Hack war und dass ich das besser durchdenken sollte.
Jolu wusste immer, wie man meine Zwei-Uhr-Nachts-Ideen in sauberen Code umsetzen konnte, aber das, womit er dann rumkam, war immer ein bisschen anders als das, was ich mir ursprünglich ausgedacht hatte. Dieses Projekt hatte ich für mich allein haben wollen. Ich war voll in meiner Rolle als M1k3y aufgegangen.
"Tut mir Leid", sagte ich schließlich. "Tut mir wirklich, wirklich Leid. Du hast völlig Recht. Ich bin irgendwie durchgedreht und hab dummes Zeug gemacht. Aber ich brauche wirklich deine Hilfe - ohne dich kriege ich das nicht hin."
"Meinst du das ernst?"
"Und wie", sagte ich. "Mann, du bist der beste Programmierer, den ich kenne. Du bist ein verdammtes Genie, Jolu. Es wäre echt eine Ehre, wenn du mir dabei helfen würdest."
Er trommelte weiter mit seinen Fingern. "Es ist bloß ... du weißt schon. Du bist der Teamchef. Van ist die Clevere. Darryl war ... er war dein Stellvertreter, der Typ, der alles organisiert hat und ein Auge auf die Details hatte. Der Programmierer, das war
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