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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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Kennzeichen jener alten Zeichnungen war, bestärkte ihn in seinem Vorhaben. Eine verzierte Kopie der Leibowitzpause könnte verfertigt werden, ohne daß man das unwesentliche Charakteristikum mit abbildete. Bei umgekehrter Farbverteilung würde niemand zunächst die Zeichnung erkennen. Gewisse andere Züge würde man offensichtlich auch ändern können. Er wagte es nicht, Sachen zu ändern, die er nicht verstand, aber die Listen der Bauteile und die in Großbuchstaben geschriebene Bezeichnung könnten sicher auf Spruchbändern und Wappenschildern symmetrisch um das Diagramm herum verteilt werden. Da die Bedeutung des eigentlichen Diagramms unklar war, wagte er es nicht, auch nur die winzigste Kleinigkeit der Umrisse oder der Verhältnisse zu ändern; weil aber die Farbgebung unwichtig war, durfte es ruhig prächtig ausfallen. Für die Kleckse und Weißnichtwas gedachte er Blattgold zu nehmen, aber ein Dingsbums war zu verwickelt, um vergoldet zu werden, und ein goldener Batzen würde zu angeberisch aussehen. Die Flecke mußten einfach tiefschwarz gemacht werden; das bedeutete aber, daß die Linien anders gefärbt erscheinen müßten, damit die Flecke auffällig genug blieben. Der unsymmetrische Entwurf durfte nicht verändert werden, aber er konnte keinen Grund zur Annahme finden, daß es den Sinn des Entwurfes entstellen würde, wenn er ihn als Gitter für hinaufkletternde Weinranken verwendete, deren Zweige (sorgfältig den Flecken ausweichend) dazu benützt werden könnten, den Eindruck einer Symmetrie zu schaffen oder die Asymmetrie wie selbstverständlich erscheinen zu lassen. Wenn der Anfangsbuchstabe M von Bruder Horner illuminiert und dabei in ein wundersames Dickicht aus Blättern, Beeren, Zweigen mit vielleicht einer listig versteckten Schlange umgewandelt wurde, blieb er nichtsdestoweniger als M lesbar. Bruder Francis sah nicht ein, warum er nicht annehmen sollte, es würde sich mit dem Diagramm genauso verhalten.
    Der Umriß, vollständig als verschnörkelte Rahmung ausgebildet, könnte als Ganzes eher die Form eines Wappenschildes als das nüchterne Rechteck zeigen, das auf der Pause die Zeichnung umgab. Er verfertigte Dutzende von Entwürfen. Im obersten Teil des Pergaments würde er den Dreieinigen Gott darstellen und ganz unten das Emblem des Albertinischen Ordens, mit einem Bild des Seligen darüber.
    Soviel Francis wußte, gab es aber kein genaues Bild des Seligen. Es fanden sich wohl einige fantasievolle Porträts, aber keins davon stammte aus der Zeit der Großen Vereinfachung. Bis jetzt gab es noch nicht einmal eine traditionelle Darstellungsweise, obwohl die Überlieferung besagte, daß Leibowitz ziemlich groß und etwas vornübergebeugt war. Wenn der Bunker wieder geöffnet werden würde, vielleicht…
    Eines Nachmittags wurden die zeichnerischen Vorarbeiten unterbrochen. Hinter sich fühlte er plötzlich drohend etwas aufragen und in schlagartiger Gewißheit wurde ihm klar, daß die Erscheinung, die da ihren Schatten über den Zeichentisch warf, niemand anderer war als – als – Um Gottes willen! Nein! Beate Leibowitz audi me! Erbarmen, Herr! Laß es jeden anderen sein, nur nicht…
    »Nun, was haben wir hier?« polterte der Abt, einen Blick auf die Entwürfe werfend.
    »Eine Zeichnung, Herr Abt.«
    »Na, das sehe ich. Aber was stellt sie dar?«
    »Die Blaupause des Leibowitz.«
    »Die du gefunden hast? Wirklich? Sie hat kaum Ähnlichkeit damit. Warum die Änderungen?«
    »Es soll…«
    »Sprich lauter!«
    »…EINE ILLUMINIERTE HANDSCHRIFT werden«, schrie Bruder Francis unabsichtlich laut hinaus.
    »Ach so.« Abt Arkos zuckte mit den Achseln und zog weiter.
    Als Bruder Horner einige Sekunden später am Pult des Lehrlings vorbeikam, bemerkte er mit Befremden, daß Bruder Francis ohnmächtig geworden war.
     

8
     
    Zur Verwunderung von Bruder Francis hatte Abt Arkos gegen das Interesse des Mönches an den Überbleibseln nichts mehr einzuwenden. Nachdem sich die Dominikaner einverstanden erklärt hatten, die Angelegenheit zu prüfen, hatte sich der Abt beruhigt, und weil das Verfahren der Heiligsprechung in New Rome wieder einige Fortschritte gemacht hatte, schien er manchmal sogar gänzlich zu vergessen, daß irgend etwas Besonderes während der Berufungsvigilie eines gewissen Francis Gerard, AOL, früher von Utah, jetzt in der Schreibschule und in der Kopierstube, vorgefallen war. Das Ereignis war vor elf Jahren geschehen. Die hirnverbrannten Gerüchte im Noviziat, was es mit dem Pilger

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