Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
London NW: Roman (German Edition)

London NW: Roman (German Edition)

Titel: London NW: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zadie Smith
Vom Netzwerk:
eigentümlichen Geschmack im Mund.
    »Wenn er im Weg ist, hol ihn einfach raus!«
    Er nahm das Mauseschwänzchen zwischen die Zähne und zog. Es ging ganz leicht. Er warf das Ding beiseite wie etwas Totes, rot auf dem weißen Holzboden. Drehte sich wieder zu ihr um und wühlte seine Zunge hinein. Es sah aus, als wollte er einen Tunnel graben, auf die andere Seite gelangen. Sie schmeckte nach Eisen, und als er fünf Minuten später zum Luftholen hochkam, stellte er sich einen Blutrand rund um seinen Mund vor. In Wahrheit war es nur ein Tröpfchen; sie küsste es weg. Der Rest ging schnell. Sie waren langjährige Liebespartner und hatten ihre erprobten Stellungen. Auf den Knien, mit Blick über die Stadt, kamen sie rasch, wie immer genussvoll und wie immer jeder für sich, zum Höhepunkt, der aber gar nichts war gegen jene fünf Minuten vor fünf Minuten, als es noch möglich schien, mit dem Kopf voran in einen anderen Menschen hineinzukriechen und ganz in ihm zu verschwinden.
    Hinterher lag er auf ihr, spürte die unangenehm verschwitzte Nähe und überlegte, wann die Höflichkeit es wohl zuließ, sich wegzubewegen. Er wartete nicht sonderlich lange. Er rollte sich auf den Rücken. Sie schob ihr Haar zur Seite und legte ihm den Kopf an die Brust. Sie sahen einem Polizeihubschrauber nach, der auf dem Weg nach Covent Garden vorbeiflog.
    »Tut mir leid«, sagte Felix.
    »Was denn?«
    Felix griff nach unten und zog sich die Jeans wieder hoch. »Nimmst du noch dein Dingsda?«
    Er sah den Zorn, der über ihr Gesicht zuckte, sah, wie er gezügelt und umgeleitet, wie stattdessen die Zigarettenschachtel geöffnet, eine Zigarette herausgeklopft und angezündet, grimmig gelächelt und gelacht wurde.
    »Nicht nötig. Da sind die Chancen, vom Blitz getroffen zu werden, deutlich größer. Das Blut fließt zwar noch, aber glaub mir: Die Quelle ist fast versiegt. Die unerbittliche, die zerstörerische Natur! Apropos, Bruderherz James soll mich demnächst ins Wolesley ausführen zur Feier unseres gemeinschaftlichen Verfalls – gestern hat er angerufen, er klang ganz natürlich am Telefon. Man sollte meinen, wir sprächen uns täglich. Eine Farce! Aber ich habe mitgespielt, ich habe gesagt: ›Hallo, geliebter Zwilling!‹ Er hat ein Geburtstagsmittagessen vorgeschlagen, dabei ist unser Geburtstag erst im Oktober, und ich sage: bestens, aber ich weiß natürlich ganz genau, was er vorhat, er will, dass ich endlich das verflixte Dokument unterschreibe, damit er mir alles unterm Arsch weg verkaufen kann. Anscheinend begreift er nicht, dass ein Teil des Hauses mir gehört, und wer weiß schon, mit wie viel Hypotheken er es inzwischen belastet hat, um für die Bildung seiner kleinen Engel aufzukommen, bis unters Dach vermutlich, da ist kein Penny mehr rauszuholen, und wir wissen ja alle, dass er mich am liebsten schon im Mutterleib aufgefressen hätte, aber das ist ihm leider nicht geglückt, und solange unsere Mutter noch lebt, verstehe ich sowieso nicht, wieso es überhaupt verkauft werden soll – wo soll sie denn dann hin? Und wer soll dafür zahlen? Solche Heime kosten Geld. Aber so war er schon immer: James hat sich immer benommen, als wäre er ein Einzelkind, als gäbe es mich gar nicht. Weißt du, wie Daddy und er mich hinter meinem Rücken genannt haben? Die Nachgeburt. Wollen wir noch was trinken? Es ist so schwül.«
    Sie lehnte sich wieder an seine Brust. Küsste die Haut im Halsausschnitt seines T-Shirts. Er fuhr ihr mit den Fingern ins Haar.
    »Am besten nimmst du eine von diesen anderen Pillen – die für danach. Zur Sicherheit.«
    Annie schnalzte ungeduldig.
    »Ich will kein Kind von dir, Felix. Ich kann dir versichern, ich sitze keineswegs allabendlich herum wie eine gramgebeugte gefallene Frau und träume davon, ein Kind von dir zu kriegen.« Sie fing an, mit dem Fingernagel Achten auf seinen Bauch zu malen. Es wirkte wie eine beiläufige Geste, doch der Fingernagel stach tief zu. »Dir ist ja hoffentlich klar, wenn es umgekehrt wäre, dann gäbe es mit Sicherheit ein Gesetz, ein richtiges Gesetz: Johnny gegen Jenny vor Gericht. Und Johnny würde Jenny vorwerfen, dass sie ihn fünf Jahre lang vorsätzlich gevögelt hat, um ihn dann im Herbst seiner Fortpflanzungsfähigkeit ohne Vorwarnung sitzen zu lassen und sich mit dem blutjungen Jacky-Boy einzulassen, der erst vierundzwanzig ist und einen Schwanz hat, so lang wie mein Unterarm. Und das Gericht entschiede zu Johnnys Gunsten. Jedes Mal. Jenny müsste Entschädigung

Weitere Kostenlose Bücher