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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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aufgestellt. Berichten zufolge würde die riesige dänische Flotte im nächsten Sommer bereit sein, in See zu stechen. Im Frühjahr 1085 hörte man überall in London: »König Wilhelm läßt eine Extraarmee von Söldnern aus der Normandie herbringen.« In der Stadt herrschte eine strenge Ausgangssperre. Eines Tages warnte Hilda Barnikel auf einem ihrer Spaziergänge: »Ralph stellt in jeder Straße Spione auf.«
    Doch dies trug nur dazu bei, daß Barnikel die Herausforderung um so mehr genoß. Er kannte fünfzig bis sechzig Männer, die wahrscheinlich bereit waren zu handeln. Einige dieser Männer stammten aus Kent, wo die Gier Odos die normannische Herrschaft in Verruf gebracht hatte; andere waren dänische Händler wie er, die seit der Eroberung unter dem wachsenden Einfluß der kontinentalen Kaufleute litten; wieder andere waren enteignete Sachsen, die ihr Land zurückzugewinnen hofften. Jetzt heißt es nur noch, den günstigsten Zeitpunkt abzuwarten, dachte Barnikel höchst zufrieden. Doch im Mai wurden seine Pläne vereitelt, und zwar auf völlig unerwartete Weise.
    Für Osric waren es glückliche Zeiten. Sein erstes Kind, ein gesundes Mädchen, machte ihm viel Freude. Dank Alfred und seiner Familie mangelte es dem Kind nie an Kleidung oder Nahrung. »Und eines Tages bekommen wir ja vielleicht auch noch einen Jungen«, sagte er zu Dorkes.
    Die sich verschärfende politische Krise in England hatte sein Leben jedoch auch noch auf andere Weise verbessert. Die Arbeiten am Tower gingen zügig voran, so daß Ralph auch anderes für Mandeville erledigen konnte und seine Bauaufsicht meist nur aus der täglichen Stippvisite bestand.
    Das obere und letzte Stockwerk des Towers sollte das prunkvollste werden. Es war eigentlich ein doppeltes Stockwerk. Viele Jahrhunderte später sollte ein Zwischenboden eingezogen werden, doch die ursprünglichen Wände waren fast zwölf Meter hoch. In der Westhälfte gab es eine große Halle, in der östlichen das königliche Gemach. In sechs Metern Höhe gab es an den Außenwänden beider Räume eine Galerie, auf der man herumspazieren und durch kleine Fenster auf die Themse oder durch die normannischen Rundbögen auf die großen darunter liegenden Räume blicken konnte. Es gab noch einige Latrinen und im Ostzimmer eine weitere Feuerstelle, obgleich der riesige Hauptsaal im traditionellen Stil durch große Kohlenbecken in seiner Mitte geheizt werden sollte.
    Am edelsten in ihrer Schlichtheit war die Kapelle im südöstlichen Teil. An der östlichen Wand lag die abgerundete Apsis. Der Innenraum war von einer doppelten Reihe massiver Rundpfeiler unterteilt, durch die ein kurzes Hauptschiff und zwei Seitenschiffe entstanden, und im oberen Bereich gab es eine Galerie mit großen Bogenöffnungen. Die Fenster waren gerade breit genug, um den blaßgrauen Stein in ein angenehmes Licht zu tauchen. Sie war dem Heiligen Johannes geweiht.
    Die Hauptbögen standen kurz vor der Fertigstellung, da erreichte Osric eines Abends im Frühling die unerwartete Nachricht, daß Barnikel ihn sehen wollte.
    Zwei Leute standen dem Dänen im Weg. Der erste war Ralph Silversleeves. Im Zuge der Vorbereitungen auf die erwartete Invasion hatte König Wilhelm nicht nur Söldner vom Kontinent kommen lassen, sondern auch Mandeville damit beauftragt, die Londoner vorzubereiten, was für Ralph eine neue Aufgabe bedeutete. Seine Leute gingen von Haus zu Haus und sammelten Waffen ein. Den Besitzern dieser Waffen wurde eine schreckliche Strafe in Aussicht gestellt, falls sie noch weitere Waffen versteckt hielten. Die Normannen arbeiteten rasch. Vielleicht war Barnikels große Streitaxt die einzige Waffe, die ihnen entging, doch Barnikel bestand zum Entsetzen seiner Familie hartnäckig darauf, sie versteckt zu halten.
    Da viele der Waffen in schlechtem Zustand waren, wurden sie zu den Waffenschmieden gebracht, in deren Werkstätten Wachen darauf achteten, daß nichts verschwand. Danach sollten sie in ein sicheres Lager geschafft werden. »Und dann werde ich auch noch die Waffenschmieden durchsuchen lassen, um sicherzugehen, daß sie wirklich nichts versteckt haben«, prahlte Ralph eines Abends bei seiner Familie.
    »Und wo willst du diese ganzen Waffen aufbewahren?« fragte Hilda.
    Ralph grinste. »Im Tower«, erwiderte er.
    Damit würde der Tower zum erstenmal benutzt werden. Während der Bauarbeiten war die Londoner Garnison weiterhin auf die Festungen am Ludgate und an anderen Orten verteilt, doch der große Keller, der vom

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