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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Mißbilligung ihres Loses den Kopf schüttelnd, das Tuch in der hohlen Hand vor die Augen.
    Riemer beugte sich über ihre andere Hand, die im Halbhandschuh, mit Ridikül und Schirmknauf in ihrem Schoße lag, und legte zart die seine darauf.
    »Liebste, teuerste Madame«, sagte er, »die Bewegungen, die Ihre lieben Worte damals im Busen des Jünglings erregten, werden immer von einer ganzen fühlenden Menschheit geteilt werden, – dafür hat er als Dichter gesorgt, und auf die Worte kommt es nicht an. –«
    »Herein!« sagte er mechanisch und ohne seine Haltung, noch auch den milden, tröstenden Ton zu verändern, in dem er sprach. Es hatte geklopft.
    »Lassen Sie sich's in stolzer Demut gefallen«, fuhr er fort, »daß Ihr Name nun einmal allezeit unter den Frauennamen glänzen wird, die die Epochen seines erlauchten Werkes bezeichnen, und welche die Kinder der Bildung werden zu memorieren haben wie die Amouren des Zeus. Ergeben Sie sich darein – aber Sie haben sich längst darein ergeben –, daß Sie, wie auch ich, zu den Menschen, den Männern, Frauen, Mädchengestalten gehören, auf die durch ihn das Licht der Geschichte, der Legende, der Unsterblichkeit fällt wie auf die um Jesus … Was gibt es?« fragte er, sich aufrichtend, mit immer noch milder Stimme.
    Mager stand im Zimmer. Da er gehört hatte, daß vom Herrn Jesus die Rede war, stand er mit gefalteten Händen.

{127} Viertes Kapitel
    Hastig stopfte Charlotte ihr Schnupftüchlein in den Beutel. Sie blinzelte geschwinde und schnob in raschem und leichtem Schluchzen einwärts mit ihrem geröteten Näschen. Sie liquidierte auf diese Weise den durch des Kellners Erscheinen aufgehobenen Zustand. Die Miene, die sie dazu machte, gehörte dem neuen an: es war eine sehr ungehaltene Miene.
    »Mager! Er kommt schon wieder herein?« fragte sie scharf. »Mir ist doch, als hätte ich ihm gesagt, daß ich mit Herrn Doktor Riemer gewichtige Dinge zu besprechen habe und nicht gestört zu werden wünsche!«
    Das hätte Mager bestreiten können, doch verzichtete er ehrerbietig darauf, ihre Selbsttäuschung anzufechten.
    »Frau Hofrätin!« sagte er nur, indem er die ohnedies schon gefalteten Hände gegen die alte Dame erhob. »Wollen Frau Hofrätin sich gütigst versichert halten, daß ich die Störung so lange wie nur immer möglich und bis zum Aeußersten hinausgeschoben habe. Ich bin untröstlich, aber sie war am Ende nicht mehr zu umgehen. Seit mehr als vierzig Minuten wartet ein weiterer Besuch, eine Dame der Weimarer Gesellschaft, darauf, vorgelassen zu werden. Ich konnte die Meldung nicht länger verweigern und entschloß mich dazu im Vertrauen auf das Billigkeitsgefühl des Herrn Doktors und auf Dero eigenes, das Dieselben zweifellos, wie andere hohe und begehrte Personen, gewöhnt hat, Ihre Zeit und Güte einzuteilen, um vielen damit gerecht werden zu können –«
    Charlotte erhob sich.
    »Das ist zuviel, Mager«, sagte sie. »Seit drei Stunden oder wielange, ich weiß es nicht, nachdem ich mich ohnehin verschlafen, bin ich im Begriffe, fortzugehen, um meine gewiß schon um mich besorgten Verwandten aufzusuchen, – und er {128} will mich zu neuen Empfängen anhalten! Es ist wahrhaftig zu stark. Ich zürnte ihm schon Miß Cuzzles wegen, und wegen des Herrn Doktors zürnte ich ihm auch, obgleich sich herausgestellt hat, daß es sich hier allerdings um einen Besuch von außerordentlichem Interesse handelte. Nun aber sinnt er mir eine weitere Aufhaltung an! Ernstlich muß ich die Ergebenheit in Zweifel ziehen, wovon er sich gegen mich die Miene zu geben weiß, da er mich in dieser Weise dem Oeffentlichen preisgibt.«
    »Frau Hofrätin«, sagte der Kellner mit geröteten Augen, »Dero Unzufriedenheit zerreißt ein Herz, das ohnehin zerrissen ist vom Widerstreit heiliger Pflichten. Denn wie sollte ich die Pflicht, unseren illustren Gast vor Behelligung zu schützen, nicht als heilig anerkennen! Wollen Frau Hofrätin aber doch, bevor Sie mich auf immer verurteilen, gütigst erwägen, daß ebenso heilig und herzlich begreiflich einem Manne wie mir die Empfindungen der Standespersonen sein müssen, welche die umlaufende Nachricht von Dero Anwesenheit in unserem Hause mit dem leidenschaftlichen Wunsche beseelt, vor Ihr Angesicht zu treten!«
    »Es wäre«, sagte Charlotte mit strengem Blick, »erst einmal die Frage zu erörtern, durch wen diese Nachricht in Umlauf gesetzt worden.«
    »Wer ist die Nachfragende?« erkundigte sich Riemer, der ebenfalls aufgestanden

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