Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde
der ersten Liebe seines Lebens davonläuft.«
»Wie kommst du darauf, dass er sie liebt? Vielleicht hat er sie geschlagen. Vielleicht hat er sie umgebracht!«
»Kann sein. Aber hier steht, er habe die Wache dreimal aufgesucht, um sich über den Stand der Ermittlungen zu informieren, und er habe immer wieder beteuert, dass Shawna nie im Leben weggelaufen wäre.«
»Viele Serienmörder versuchen, sich in die Ermittlungen einzumischen.«
»Er ist zu jung für einen Serienmörder. Außerdem passt er nicht ins Profil. Nicht intelligent genug, sozial zu gut eingebunden.«
Sie pinnten Shawnas Foto an die Korktafel und darunter die Karteikarte mit den gesicherten Fakten: Körpermaße, letzter Aufenthaltsort, Anschrift. Auf der Landkarte markierten sie Shawnas letzte Adresse mit einer roten Stecknadel.
Der zuständigen Sozialarbeiterin zufolge hatten Christine und Harold Wallace eine furchtbare Ehe geführt. Beide waren immer wieder arbeitslos und versuchten, von den Drogen loszukommen. Sie zogen sich gegenseitig immer wieder in die Sucht hinab und wurden regelmäßig gewalttätig. Einmal hatte Christine nach einer Prügelei drei Wochen im Krankenhaus gelegen, Harold hatte eine Stichverletzung im Bauchraum nur knapp überlebt.
Von zehn Ehejahren hatten sie nur drei zusammen verbracht, da immer mindestens einer von ihnen im Gefängnis oder in der Entzugsklinik gewesen war. Zum Zeitpunkt ihres Verschwindens waren sie allerdings beide seit mehr als einem Jahr clean. Sie hatten gemeinnützige Arbeit geleistet, in den Parks der Stadt Müll aufgesammelt und sich seit acht Monaten nicht mehr geprügelt. Christine holte den Schulabschluss nach.
Als sie nicht zur Arbeit erschienen, rief ihr Vorgesetzter nicht sofort die Stadtverwaltung an. Er mochte die beiden und wollte nicht, dass sie ausgerechnet jetzt, wo ihr Leben in ruhigeren Bahnen verlief, aus dem Programm flogen. Aber am zweiten Tag blieb ihm nichts anderes übrig. Als der Sozialarbeiter die Wallaces im Barrio besuchen wollte, stand die Tür ihres kleinen Zweizimmerhäuschens weit offen. Von den Einrichtungsgegenständen fehlte nichts, es gab keine Anzeichen für einen Kampf oder einen Einbruch. Sie waren wie vom Erdboden verschluckt. Anrufe bei den Eltern ergaben, dass das Paar den Kontakt zur Familie vor über zehn Jahren abgebrochen hatte. Dass sie nun als vermisst galten, schien die Angehörigen nicht weiter zu interessieren.
Der letzte Eintrag der Sozialarbeiterin eine Woche vor dem Verschwinden des Paares lautete: »Ich bin mit Harolds und Christines Fortschritt sehr zufrieden. Beide arbeiten, sind clean und kümmern sich um ihre Beziehung. Während der letzten Sitzung haben sie Händchen gehalten.«
Die einzigen Bilder von Harold und Christine waren die bei früheren Festnahmen entstandenen Polizeifotos. Verbrecherfotos sind immer unvorteilhaft, trotzdem waren die beiden nicht gerade attraktiv. Vom jahrelangen Drogenkonsum waren sie ausgemergelt. Beide hatten dünnes, schütteres Haar. Harold hatte kleine, braune Augen, eine Hakennase und schmale Lippen, ein Vorderzahn fehlte. Christines Gesicht war auch schmal, aber sie hatte große, blaue Augen und einen Schmollmund. Früher war sie vielleicht hübsch gewesen, aber weil sie jahrelang misshandelt worden war und sich selbst vernachlässigt hatte, sah sie einfach nur fertig aus.
»Noch einmal – könnten die zwei sich nicht einfach in irgendein Crack-Loch verkrochen haben?«, fragte Jeffrey.
»Nein, denn sie haben auch nichts mitgenommen. Ihr Konto ist seit ihrem Verschwinden nicht angerührt worden. Offenbar hatten sie tatsächlich ins Leben zurückgefunden.«
»Dann nehmen wir also an, dass der vermeintliche Serienmörder das Ehepaar ermordet oder von zu Hause verschleppt hat. So etwas hat es noch nie gegeben.«
»Son of Sam.«
»David Berkowitz hat Pärchen im Auto erschossen und ist dann geflüchtet. Er ist nirgendwo eingebrochen, um Menschen zu töten und die Leichen fortzuschaffen. Solch ein Kraftakt erfordert jede Menge Vorbereitungsarbeit und ein hohes Maß an krimineller Energie. Dieser Kerl scheint so getrieben zu sein, dass er ein großes Risiko eingeht und bei den Überfällen und Entführungen keinen Aufwand scheut. Alles spricht dafür, dass er von seiner Sache mehr als überzeugt ist.«
»Wie würdest du vorgehen, wenn du ein Pärchen töten oder entführen wolltest?«
»Ich würde es ausspionieren, um herauszufinden, wo die Schwachpunkte liegen. Und auf den perfekten Augenblick warten,
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