Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde
den Rand seiner Armani-Brille hinweg an.
»Ich bin ja so dumm«, sagte sie. »Ich habe nicht einmal daran gedacht, als du das Kruzifix erwähnt hast. Bevor ich dich vom Flughafen abgeholt habe, war ich in der Kirche. Ich habe eine Statue der Jungfrau Maria mit ihrem Kind gesehen. Ich fand sie beeindruckend, und Juno sagte mir, sie stamme von seinem Onkel, der hauptsächlich Kruzifixe für die Gemeindemitglieder schnitzt. Dem Foto nach zu urteilen handelt es sich um ein und denselben Künstler.«
Sie stand auf und stellte sich vor die Karte. »Alle Opfer wohnten nicht weiter als sieben Kilometer von der Kirche entfernt. Die Kirche ist der gemeinsame Nenner.« Lydia war aufgeregt, ohne hektisch zu werden. Auch wenn die Puzzleteile sich nach und nach wie bei einem Zauberwürfel an ihren Platz schoben, waren sie von der Lösung des Rätsels noch meilenweit entfernt.
»Warte mal. Wir sollten nichts überstürzen. Wir wissen immer noch nicht, ob diese Menschen überhaupt tot sind.«
»Herrje, Jeffrey, was muss ich tun, um dich zu überzeugen?«
»Zeig mir eine Leiche! Irgendeine Leiche. Lydia, du hast dich da in etwas verrannt. Wir haben überhaupt keine Beweise.«
Sie setzte sich nicht wieder neben ihn, sondern wählte den Sessel gegenüber vom Sofa.
»Ich brauche Beweise. Wir können nicht wegen Mordes ermitteln, wenn niemand gestorben ist.«
»Deine FBI -Rhetorik kannst du dir sparen«, murmelte Lydia.
»Das ist keine Rhetorik! Wir haben vier Vermisste … wobei ich zugeben muss, dass das letzte Opfer vermutlich tot ist. Ja, falls alle Kruzifixe aus ein und derselben Kirche stammen, wäre das mehr als merkwürdig. Auch das gebe ich zu. Aber wir haben keine Leichen und keine Beweise. Ich bin mir einfach noch nicht sicher. Möchtest du, dass ein Serienmörder sein Unwesen treibt? Freust du dich, wenn sich herausstellt, dass du Recht hast?«
»Natürlich nicht! Aber ich kann nicht untätig herumsitzen, während er sich an sein nächstes Opfer heranmacht. Genau deswegen hast du das FBI verlassen, oder? Du hattest keine Lust mehr, dich an tausend Vorschriften zu halten, während andere unter dem Deckmantel ihrer Bürgerrechte Verbrechen begehen.
Kannst du dich daran erinnern, dass Eltern früher vierundzwanzig Stunden warten mussten, bevor sie ihr Kind als vermisst melden konnten? Dass eine Frau erst verletzt oder getötet werden musste, bevor man etwas gegen ihren Stalker unternehmen durfte? Serienmörder kündigen ihre Taten nicht an. Wir tun niemandem weh, wenn wir der Sache nachgehen. Aber wenn nicht, machen wir uns eventuell am Tod des nächsten Opfers mitschuldig.«
Dieses Argument trieb Jeffrey wie immer auf die Palme. Lydia kannte ihn zu gut und verstand es besser als jeder andere, ihn wütend zu machen. Sie saßen beieinander und waren sich so nah, und im nächsten Moment flogen die Fetzen.
Sie sprang auf und rannte aus dem Zimmer. Jeffrey hörte das Telefon klingeln. Er blieb sitzen und sah aus dem Fenster. Die Sonne tauchte am westlichen Horizont hinter den Bergen ab, und der Himmel leuchtete pastellfarben. Auf einmal spürte er eine stechende, völlig irrationale Eifersucht. Sie war gestern und heute in der Kirche gewesen. Was wollte sie dort? Den Blinden besuchen? Den Mann, von dem sie geträumt hat?
Kurz darauf stand Lydia wieder im Zimmer.
»Da hast du deinen Beweis«, sagte sie mit einem bitteren Lächeln. »Sie haben Maria Lopez’ Leiche gefunden.«
VIERZEHN
J emand hatte Maria Lopez ausgeweidet wie zuvor den Hund Lucky. Ein verstörender Anblick für die beiden Jäger, die sie in den Wäldern des Cimarron Canyon State Park in einem halb geöffneten Leichensack gefunden hatten, nur notdürftig mit Erde und Sand bedeckt. Du Monster hast wohl gehofft, die wilden Tiere würden sie holen , dachte Morrow, als er sich über die verwesende Leiche beugte.
»Deckt sie zu«, sagte er zu dem Cop, der neben ihm stand. Die Frau tat ihm leid. Niemand war auf der Wache erschienen, um sie als vermisst zu melden, und sie konnten niemanden über ihren Tod informieren. Niemand konnte über ihr Leben Auskunft geben außer der Chefin des Cafés und Mike Urquia, der sie zuletzt lebend gesehen hatte. Er war nur deswegen der Hauptverdächtige, weil es sonst keine Verdächtigen gab. Aber nichts wies darauf hin, dass er Maria etwas angetan hatte. Morrow hatte dem Mann in die Augen geblickt und war von seiner Unschuld überzeugt. Hinter dem Verbrechen steckte mehr als ein außer Kontrolle geratener One-Night-Stand.
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