Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde
Anweisungen.
»Chief, kann jemand einen Gipsabdruck nehmen?«, fragte Jeffrey.
»Ich weiß nicht, wie lange das dauert. Der Boden scheint ziemlich weich zu sein«, antwortete Morrow.
»Wir sollten es wenigstens versuchen«, fuhr Lydia ihn an. Sie ärgerte sich über seine Bequemlichkeit.
»Na schön«, sagte Morrow knapp. Ihr Ton gefiel ihm nicht, aber was sollte er machen? Er lief zum Streifenwagen und griff zum Funkgerät.
»Lydia, er hat Recht. Kein Grund, so pampig zu sein.«
»Halt dich da raus, Jeffrey.« Lydia ärgerte sich immer noch über das Streitgespräch vom Nachmittag. Sie war äußerst nachtragend, und mit Kritik konnte sie selbst an guten Tagen nicht umgehen.
»Bitte sehr.« Jeffrey ging ebenfalls zum Streifenwagen.
Du bist das beliebteste Mädchen weit und breit , dachte Lydia verbittert.
Sie lief zur Leiche zurück und musterte sie ein zweites Mal. Um Marias Hals hing eine Kette mit einem kleinen Goldkreuz. Lydia zog sich wegen des Gestanks den Pulloverkragen über Mund und Nase und beugte sich hinunter. Das Kreuz war schlicht und schmal und vermutlich billig, wenn es überhaupt aus echtem Gold war. Hatte sie in der Kirche ein ähnliches Kreuz gesehen? Sie konnte sich nicht erinnern. Sie überprüfte Marias Ohrläppchen. Durchstochen, aber keine Ohrringe. Lydia dachte an die Ohrringe, die Jed McIntyre seinen Opfern gestohlen hatte. An Marias rechter Hand bemerkte sie eine tiefe Schnittwunde, vermutlich eine Abwehrverletzung, und geronnenes Blut unter den Fingernägeln.
Lydia ging zu Jeffrey und Morrow hinüber, die gerade die Jäger befragten. Sie nahm die fremden Männer nacheinander in Augenschein, stellte sich jeden Einzelnen in der Rolle des Killers vor, der dem Opfer auflauert, es überwältigt und ausweidet. Aber diese Männer schienen zu einfältig, zu harmlos. Vermutlich konnten sie ihnen nicht weiterhelfen. Sie wartete auf einen geeigneten Moment, sich ins Gespräch einzumischen.
»Morrow«, sagte sie, wobei sie die korrekte Anrede bewusst unterschlug, »würden Sie bitte dafür sorgen, dass das Goldkreuz des Opfers sichergestellt wird? Außerdem müssen wir mit jemandem von der Parkverwaltung sprechen und herausfinden, ob es am Eingang Überwachungskameras gibt und ob die Nummernschilder der Besucherautos erfasst werden.«
»Kein Problem«, gab Morrow zurück. Am liebsten hätte er sich in den Hintern getreten. Warum war er nicht selbst darauf gekommen?
Lydia wandte sich an Jeffrey.
»Wenn du mich hier nicht mehr brauchst, fahre ich jetzt zu Greg Matthews und zum Smokey’s. Hoffentlich treffe ich dort Zeugen an, vielleicht sogar diesen Mike Urquia.«
»Soll ich mitkommen?«
»Nein, ich mache das lieber allein. Manche Leute reden lieber mit einer Person als mit zweien.«
»Ich werde die Leiche zusammen mit Morrow zur Rechtsmedizin bringen. Mal sehen, was die Obduktion ergibt. Unterwegs können wir bei den Parkwächtern halten und in Erfahrung bringen, ob und wie die Besucher erfasst werden.«
Lydia sah Jeffrey an und verkniff sich ein Lächeln. Wie zu einer stummen Entschuldigung schlug sie die Augen nieder. Mit einer schnellen, versöhnlichen Geste strich sie den Kragen seiner Lederjacke glatt. »Mir tut es auch leid«, sagte Jeffrey, und sie musste lächeln.
»Die Analyseergebnisse vom Tatort kommen schon heute Abend«, warf Morrow ein. »Jemand im Labor, den ich persönlich kenne, hat es mir versprochen.«
»Gut«, lobte Jeffrey ihn, und zu Lydia sagte er: »Sei vorsichtig. Ich werde mich von Morrow oder jemand anderem nach Hause bringen lassen.«
Er sah ihr nach, wie sie mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen zum Auto zurückstapfte. Kurz bevor sie zwischen den Bäumen verschwand, drehte sie sich noch einmal um. Als sie merkte, dass sie beobachtet wurde, fing sie wieder zu lächeln an. Sie warf ihm einen schuldbewussten und gleichzeitig sehnsüchtigen Blick zu. Jeffrey schnappte nach Luft, so stark waren seine Gefühle für sie, so wunderschön sah sie in der magischen Abendsonne aus.
Mit den Verlockungen des Einsiedlertums kannte Lydia sich bestens aus, mit der verführerischen Vorstellung, niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen. Sie verstand den Wunsch, alle Stimmen abzustellen außer der eigenen, dem unbarmherzigen Blick der anderen zu entkommen. Sie hatte sich ihr Leben so eingerichtet, dass die Einsamkeit sie umgab wie eine weiche Daunendecke. Die Abgeschiedenheit war ihr schönstes Ruhekissen. Sie war allein und hatte sich beigebracht, ohne fremde
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