Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde
derselben Disziplin, die er von der Kaserne her kannte. Die Mutter musste ausgezogen oder gestorben sein, denn den Zimmern fehlte weibliche Wärme. Außerdem schien Greg sich in der Küche prima zurechtzufinden.
»Sie wohnen hier allein?«
»Nein, mit meinem Dad. Meine Mutter ist an Krebs gestorben, als ich zehn war.«
»Das tut mir leid.«
»Mir auch. Aber mein Dad hat sich gut um mich gekümmert. Er ist manchmal ein bisschen streng.« Greg lachte freudlos. »Aber was will man von einem Exmarine schon erwarten?«
» Haben Sie etwas dagegen, wenn ich unsere Unterhaltung aufnehme?«, fragte Lydia, zog ein kleines Diktiergerät aus der Tasche und legte es auf den Tisch. Sie nahm es überall hin mit, vergaß aber jedes Mal, es auszupacken.
»Nein. Wie möchten Sie Ihren Kaffee?«
Er starrte in den leeren Kühlschrank. So viel zu »mit viel Milch und Zucker, bitte«.
»Schwarz«, sagte sie. »Meinen Sie mit nein, dass ich das Gespräch nicht aufnehmen darf oder dass es Ihnen nichts ausmacht?«
»Es macht mir nichts aus, Miss Strong. Ich habe nichts zu verbergen.«
Er setzte sich ihr gegenüber an den Tisch und stellte eine weiße Tasse mit Sprung vor sie hin. Der Kaffee war so schwarz wie Teer. Die Stuhlbeine scharrten über den Boden, als er an den Tisch heranrückte.
»Ihr Name kommt mir bekannt vor«, sagte er.
»Ja. Ich bin Journalistin.«
»Ich lese nicht viel. Sind Sie deswegen gekommen? Wollen Sie über Shawna schreiben?«
»Nein, eigentlich nicht. Ich arbeite nebenbei als Beraterin für eine Privatdetektei.«
»Wurden Sie angeheuert, um Shawna zu suchen?«
»Nein. Sagen wir es mal so, ich bin aus persönlichen Gründen an dem Fall interessiert, außerdem habe ich Zeit und Geld, um die laufenden Ermittlungen zu unterstützen. Shawna wird nicht als Einzige vermisst.«
»Sie sprechen von dieser Frau, die gestern verschleppt wurde?«
»Ja, und von anderen.« Lydia wollte dem jungen Mann nicht sagen, dass nach Maria Lopez nicht mehr gesucht wurde. Er las es spätestens morgen in der Zeitung.
»Woher das Interesse?«
Lydia dachte nach.
»Auch ich habe einmal jemanden verloren, Greg. Vor langer Zeit. Und obwohl ich weiß, was damals passiert ist, habe ich das Warum bis heute nicht verstanden. Ich glaube, ich bin immer noch auf der Suche nach einer Antwort.«
Er nickte, als hätte er verstanden. Lydia wusste selbst nicht, warum sie das gesagt hatte, sie hatte den Gedanken noch nie laut ausgesprochen. Noch nie hatte sie sich einem Fremden gegenüber so offen gezeigt, schon gar nicht einem Interviewpartner. Aber mit ihrer Bereitschaft, ihm persönliche Dinge zu erzählen, schien sie sein Vertrauen zu gewinnen. Er fing zu erzählen an.
»Die meisten Leute glauben, Shawna wäre einfach ausgerissen. Wegen ihren Pflegeeltern wäre sie weggelaufen, aber doch nicht wegen mir! Wir haben nur noch auf ihren achtzehnten Geburtstag gewartet. Wir wollten heiraten, und dann wäre sie hier eingezogen. Ich hätte weiterhin für meinen Vater gearbeitet, und irgendwann hätten wir genug Geld für ein eigenes Haus gehabt.«
Gregs Augen wurden feucht. Er sehnte sich nach Mitgefühl, das war unübersehbar. Er hielt inne, wartete auf einen kritischen Kommentar, auf ein Urteil, aber sie nickte nur und schwieg.
Als er nicht weitersprach, ermutigte sie ihn.
»Wie war das, als sie verschwand?«
»Sie hat mich am vierzehnten August angerufen, das war ein Sonntag. Es war schon Abend. Sie klang sehr aufgeregt und meinte, sie würde sofort rüberkommen. Ich habe ihr gesagt, sie solle zu Hause bleiben und warten, ich würde sie holen. Aber sie sagte, nein, sie müsse sofort aus dem Haus. Es ist nicht weit, kaum mehr als ein Kilometer. Sie meinte, sie brauche frische Luft, um einen kühlen Kopf zu bekommen. Sie hatte sich wieder mal mit ihren Pflegeeltern gestritten. Die sind ganz in Ordnung, aber ziemlich streng. Und Shawna hat ihren eigenen Kopf, deswegen sind sie ständig aneinandergeraten.
Ich habe ihr gesagt, sie solle sich beeilen, weil es schon dunkel wurde. Ich habe eine halbe Stunde gewartet, und dann habe ich mich auf den Weg gemacht. Es kam nur eine Straße in Frage. Ich bin zu ihren Pflegeeltern. Ihr Pflegevater Harden hat mir gesagt, sie sei längst weg. Ich habe ihm kein Wort geglaubt und bin hoch in ihr Zimmer. Sie war nicht da, aber offensichtlich hatte sie nichts gepackt.
Ich war wütend. Sie hatte mir versprochen, sich nicht mehr mit ihren Eltern anzulegen. Wir hatten nur noch vier Monate zu überstehen,
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