M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
Journalistin eigentlich vor? Welcher konkrete Verdacht lag der Observierung zugrunde? Dass Mia etwas mit dem Verschwinden des Taxifahrers zu tun hatte? Wieso? Sie ließ ihn für fünfundsechzig Euro in der Stunde suchen. Dass sie in ein Verbrechen im Zusammenhang mit der Person Dennings verwickelt war? In welches? Dass sie Umgang mit Rechtsradikalen hatte? Wer behauptete das? Die Aussagen des LKA-Kommissars waren unbrauchbar. Nicht der Fitzel einer Spur, eines Beweises, eines Tatbestands. Nicht ein Fitzelchen, würde Edith Liebergesell sagen und die Aktion sofort beenden.
Und genau das Gleiche musste Süden tun. Er tippte Kreutzers Nummer in sein Handy und hielt sich das linke Ohr zu. Lastwagen rasten scheppernd an ihm vorbei. Die Mailbox sprang an. Süden bat den alten Mann, sofort zum Sendlinger-Tor-Platz zurückzukehren.
Zwei Stunden später war Leonhard Kreutzer immer noch nicht da.
Die Schlagermusik erinnerte ihn an Abende mit seiner Frau. Sie mochte es, wenn Musik lief, während sie im Wohnzimmer saßen und Zeitung lasen. Manche Melodien summte sie mit. Das erstaunte ihn immer wieder, weil er sich nicht erklären konnte, wann sie sich die Lieder eingeprägt hatte. Sie standen jeden Tag um fünf auf, gingen ins Geschäft, sortierten die neuen Zeitungen, schlossen um sieben Uhr auf, eine halbe Stunde später als die Bäckerei nebenan. Nur am Sonntag schliefen sie bis gegen acht, danach verbrachten sie den Tag gemeinsam; eigentlich immer, ihr ganzes Leben lang. Wieso kannte sie die Lieder und er nicht?
Solche Erinnerungen baumelten in seinen Gedanken, und er saß angespannt da, nippte an seinem Bier und starrte reglos vor sich hin.
Leonhard Kreutzer starrte nicht vor sich hin. Er beobachtete. Niemand beachtete ihn. Die drei Männer am Tresen – unter ihnen die beiden Glatzköpfigen, die er schon kannte – unterhielten sich, ohne dass er an seinem Tisch an der Wand ein Wort verstand. Am Rand der Theke lehnte Mia Bischof. Die beiden blonden Zöpfe fielen ihr rechts und links auf die Schultern, Mütze und Daunenjacke hatte sie auf den Hocker neben sich gelegt. Wieder, wie schon vor zwei Tagen in der Detektei, trug sie einen schwarzen Wollrock und einen dunklen Rollkragenpullover.
Als Kreutzer ins »Bergstüberl« kam, hatte sie ihm, ebenso wie der Wirt, einen schnellen, überraschten Blick zugeworfen. Er nickte ihr zu und hatschte zu einem Tisch an der Wand. Dieser schleppende Gang stellte für ihn eine Art Tarnung dar. Er wollte damit demonstrieren, wie schlecht er auf den Beinen war, und suggerieren, wie simpel es wäre, ihm zu entwischen.
Vor dem Lokal hatte er eine Zeitlang überlegt, was er tun sollte. Von vornherein war klar gewesen – auch für Süden und Patrizia –, dass er nicht darauf hoffen konnte, unentdeckt zu bleiben. Mia Bischof würde ihn auf jeden Fall wiedererkennen, auch wenn sie ihn nur flüchtig aus der Ferne sehen sollte. Das war nicht der entscheidende Punkt. Wichtig war, da zu sein, zu schauen, was passierte, egal, ob Mia ihn bemerkte. Erklärungen für sein unerwartetes Auftauchen hatte er eine Handvoll parat. Im Grunde handelte es sich weniger um eine Beschattung als vielmehr um einen unangemeldeten Besuch, um eine »Spielart von Neugier«, wie Kreutzer sich ausdrückte.
»Schon wieder da?«, hatte Mario, der Wirt, bei der Begrüßung zu ihm gesagt und ihm wortlos das bestellte Bier gebracht. Kreutzer war nicht entgangen, wie Mia Mario erklärte, wer der alte Mann sei und woher sie ihn kannte.
Jedenfalls glaubte Kreutzer, dass sie das sagte.
In Wahrheit erzählte Mia dem Wirt, der Alte wäre ein ehemaliges Parteimitglied und nach einer schweren Krankheit innerlich zermürbt. Daher auch der Gang und das kaputte Aussehen.
Nach einer Magenverstimmung sah Mia nicht aus, fand Kreutzer. Außerdem bildete er sich ein, dass zwischen ihr und den drei männlichen Gästen eine Spannung herrschte, die vor allem in eisigen Blicken zum Ausdruck kam. Jedes Mal, wenn der etwa fünfzigjährige Mann, der neben den beiden jüngeren stand, Mia den Kopf zuwandte und sie es bemerkte, schien ihr ganzer Körper zu zucken, als würde sie sich einen Moment lang ekeln. Danach drehte sie ihm mit einer eckigen Bewegung den Rücken zu. Der Wirt nahm davon keine Notiz.
Ein neuer Schlager begann. Wieder sah Kreutzer seine Frau Inge vor sich, wie sie auf der Couch im Wohnzimmer saß, einen Stapel Zeitungen neben sich, und leise summte. Er hörte ihr mehr zu als dem Lied. Wenn sie ihn dabei erwischte,
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