Mabel Clarence 03 - Schatten ueber Allerby
Verwalterin hatte die Organisation der Feste und Veranstaltungen auf Higher Barton fest im Griff und lebte bei dieser Arbeit regelrecht auf. Die Kosten, die bereits für Douglas Carter-Jones’ Geburtstagsfeier angefallen waren, hatte Mabel abgeschrieben, denn es erschien ihr pietätlos, die Geschwister in der derzeitigen Lage damit zu behelligen. Higher Barton konnte den Verlust verschmerzen, zumal neue Veranstaltungen gebucht waren. Mabel ließ sich von Emma gern zum Abendessen einladen, und George Penrose leistete den Damen Gesellschaft. Emmas Ehemann, der Hausmeister, Gärtner und Handwerker in einem war, hielt das Haus tadellos in Ordnung. Sie verbrachten einen angenehmen Abend zusammen, und die Gespräche mit Emma und George lenkten Mabel für einige Stunden von ihren Sorgen um Douglas Carter-Jones ab.
„Ah, guten Morgen, Miss Clarence! Auch wieder zurück?“, wurde Mabel von Mrs Roberts freundlich begrüßt, als sie die Metzgerei betrat.
Sie erwiderte den Gruß und fragte erstaunt: „Woher wissen Sie, dass ich verreist war?“
Die korpulente Metzgersfrau zwinkerte Mabel vertraulich zu. „Sie wissen doch – in Lower Barton bleibt nichts verborgen. Der halbe Ort weiß, dass Sie im Urlaub waren und den armen Doc im Stich gelassen haben.“ Bevor Mabel eine freundliche Antwort formulieren konnte, fuhr Mrs Roberts auch schon fort: „Es heißt, Sie wären in London gewesen – sicher alte Bekannte besuchen. So haben Sie von dem Mord bestimmt noch nichts gehört, nicht wahr?“
„Von welchem Mord sprechen Sie?“, fragte Mabel unschuldig.
„Na, auf Allerby wurde ein Mann abgestochen. Das ist doch die Familie, wo die junge Lady sich erst kürzlich umgebracht hat. Und jetzt ein Mord! Ein Ausländer, heißt es, aus dem Nahen Osten oder so.“ Die Metzgersfrau lehnte sich mit vor Aufregung geröteten Wangen über die Theke und senkte ihre Stimme, obwohl sie und Mabel allein im Laden waren. „Vielleicht war es ein Terrorist, bei diesen Leuten weiß man ja nie. Auf jeden Fall hat die Polizei den Mörder geschnappt. Es soll sich um Lord Carter-Jones, den Besitzer von Allerby, handeln. Ein so feiner Herr, und dann das … Vielleicht hat er mit den Terroristen gemeinsame Sache gemacht, und wir waren hier unseres Lebens nicht mehr sicher. Nun ja, das Böse sieht man einem Menschen eben nicht an. Aber Sie kennen die Leute ja gar nicht“, beendete Mrs Roberts scheinbar ihren Redeschwall, fügte dann jedoch noch hinzu: „Obwohl … Ich wundere mich, dass Sie als Eigentümerin von Higher Barton nicht in dieser Gesellschaft verkehren und als Putze beim Doc arbeiten. Das hat eine Frau wie Sie doch gar nicht nötig.“
„Ich verwalte Higher Barton lediglich für Lady Tremaine“, antwortete Mabel kühl, „und die Arbeit bei Mr Daniels macht mir Freude. Jetzt muss ich mich aber sputen, Mrs Roberts. Geben Sie mir bitte ein gutes Pfund Lammschulter.“
Heute Mittag wollte sie Victor ein Lammcurry mit Sahnesoße, neuen Kartoffeln und grünen Bohnen zubereiten, denn der Tierarzt hatte in den letzten Tagen sicher ein paar Pfunde verloren, dabei war er alles andere als korpulent. Das würde sich jetzt schnell wieder ändern. Mabel ließ Mrs Roberts in der Annahme, sie wäre in London gewesen, und war froh, dass außer Victor, Alan, Bourke und Warden niemand etwas von ihrer Tätigkeit auf Allerby mitbekommen hatte. Mit einem freundlichen Gruß verabschiedete sie sich, und in diesem Moment betrat eine weitere Kundin den Laden, sodass Mrs Roberts ihre Aufmerksamkeit auf diese lenken konnte. Auf der Straße lief Mabel einem Mann direkt in die Arme.
„Chefinspektor!“, rief sie.
„Miss Clarence.“ Randolph Warden nickte ihr lächelnd zu. „Wie schön, Sie zu treffen, da kann ich mir ein Telefonat sparen, um Sie zu bitten, auf das Revier zu kommen.“
„Sie möchten mich sprechen?“, fragte Mabel verwundert. „Ich habe Ihnen doch schon alles gesagt, was ich weiß. Davon aber abgesehen – Sie haben ohnehin den Falschen verhaftet. Es ist aber nicht neu, dass Sie sich irren. Ich habe eine völlig andere Theorie.“
Warden holte Luft, verbiss sich aber im letzten Moment eine Antwort. Stattdessen deutete er auf die andere Straßenseite. „Haben Sie etwas Zeit, Miss Clarence? Ich würde Sie gern zu einer Tasse Tee einladen. Am besten gleich da drüben.“
„Wie bitte?“ Mabel glaubte, sich verhört zu haben. „Sie wollen mit mir Tee trinken gehen?“ Mit Mühe unterdrückte sie ein
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