Macht (German Edition)
Interesse der Leute würde sich wieder vielmehr Fragen zuwenden, in denen sie wirklich Rat und Stimme hätten. Denn es ist mehr als alles andere die Furcht vor dem Kriege, die die Menschen zwingt, ihre Aufmerksamkeit fremden Ländern und der Außenpolitik ihrer eigenen Regierung zuzuwenden.
Wo die Demokratie besteht, ist immer noch die Notwendigkeit eines Schutzes von einzelnen und Minderheiten vor der Tyrannei vorhanden, sowohl weil die Tyrannei an sich nicht wünschenswert ist, als auch weil sie zum Zusammenbruch der Ordnung führen kann. Montesquieus Eintreten für die Trennung von Legislative, Exekutive und Justizapparat, der traditionelle englische Glaube an Gegen-und Gleichgewicht, Benthams politische Doktrin und der ganze Liberalismus des neunzehnten Jahrhunderts – all dies diente dazu, die willkürliche Ausübung von Macht zu verhindern. Aber solche Methoden wurden allmählich als mit Leistungsfähigkeit unvereinbar angesehen. Wenn in früheren Zeiten Legislative und Exekutive nicht der gleichen Ansicht waren, führte das zu einer höchst unangenehmen Lähmung; heutzutage wird in England die Leistungsfähigkeit gesichert, indem für alle Zwecke und Absichten beide Gewalten im Kabinett vereinigt werden. Die Methoden des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts zur Verhütung willkürlichen Machtgebrauchs passen nicht mehr zu unseren Umständen, und die bisher bestehenden neuen Methoden sind nicht sehr wirkungsvoll. Man braucht Vereinigungen, um die oder jene Form der Freiheit zu schützen und um prompte Kritik gegen Beamte, Polizisten, Stadträte und Richter vorzubringen, die ihre Befugnisse überschreiten. Man braucht auch ein gewisses politisches Gleichgewicht in jedem wichtigen Zweig der öffentlichen Verwaltung. Es liegt zum Beispiel für die Demokratie eine Gefahr in der Tatsache, dass die Durchschnittsansichten bei der Polizei viel reaktionärer sind als im Lande.
In jeder Demokratie können Einzelpersonen und Organisationen, die nur bestimmte Exekutivfunktionen erfüllen sollen, leicht eine durchaus nicht wünschenswerte unabhängige Macht erlangen, wenn man sie nicht überwacht. Das trifft besonders auf die Polizei zu. Die Nachteile einer ungenügend überwachten Polizei werden in Beziehung auf die Vereinigten Staaten sehr nachdrücklich in dem Buch »Our Lawless Police« von Ernest Jerome Hopkins aufgezeigt. Das Wesen der Sache beruht darin, dass ein Polizist für die Überführung eines Verbrechers befördert wird, dass die Gerichte ein Geständnis als Schuldbekenntnis annehmen und dass es daher im Interesse der einzelnen Offiziere liegt, verhaftete Personen so lange zu foltern, bis sie geständig sind. Dieses Übel besteht in größerem oder geringerem Maße in allen Ländern. Der Wunsch nach dem Geständnis war die Grundlage für die Foltern der Inquisition. Im alten China war das Foltern verdächtiger Personen an der Tagesordnung, weil ein humanitärer Kaiser angeordnet hatte, dass kein Mensch ohne geständig zu sein verurteilt werden dürfe. Für die Zähmung der Macht der Polizei ist es wesentlich, dass unter keinen Umständen ein Geständnis als Schuldbeweis betrachtet werden darf.
Wenn diese Reform auch notwendig ist, so reicht sie doch bei weitem nicht aus. Das Polizeisystem aller Länder ist auf der Annahme aufgebaut, dass das Sammeln von Beweisen gegen einen verdächtigen Verbrecher von öffentlichem Interesse sei, das Sammeln von Beweisen zu seinen Gunsten hingegen nur ihn selber angehe. Man sagt oft, dass es wichtiger sei, den Unschuldigen freizusprechen als den Schuldigen zu verurteilen, aber überall obliegt es der Polizei, den Beweis für die Schuld, nicht für die Unschuld zu finden. Man nehme an, jemand sei ungerechterweise des Mordes angeklagt und der erste Augenschein sei gegen ihn. Alle Möglichkeiten des Staates werden ausgenützt, um mögliche Zeugen gegen den Mann zu suchen, und der Staat verwendet die fähigsten Anwälte, um in den Köpfen der Geschworenen Vorurteile gegen ihn zu bilden. Der Mann muss inzwischen sein Privatvermögen ausgeben, um Beweise für seine Unschuld zu sammeln, und keine öffentliche Organisation steht ihm dabei zur Seite. Wenn er zu arm ist, wird man ihm einen Anwalt geben, der aber wahrscheinlich weniger fähig ist als der öffentliche Ankläger. Wenn es ihm gelingt, freigesprochen zu werden, kann er nur mit Hilfe des Kinos und der Sonntagsblätter dem Bankrott entkommen. Aber es ist nur zu wahrscheinlich, dass er unschuldig verurteilt werden
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