Maedchenjagd
der Kunde seine Rechnungen nicht bezahlte, damit er in einem Notfall Hilfe holen konnte. Doch Shana besaß keinen Festnetzanschluss.
Wie konnte es außerdem sein, dass Shana ihre Telefonrechnung nicht bezahlte, trotz all des Geldes, das Lily ihr schickte? Wenn sie wie jetzt wegen eines großen Prozesses unter Druck stand, gab sie Shanas Forderungen einfach nach, statt sich auf einen Streit einzulassen. Sie hatte angenommen, dass Shana reif genug war, um ihre Rechnungen zuverlässig zu zahlen, aber sie hatte sich offenbar geirrt.
Lily lächelte freundlich und nahm ihre Tochter in den Arm. »Ich bin da, Liebes. Alles andere ist jetzt egal.« Die Wohnung war schrecklich heruntergekommenen und bedrückend. Alle Vorhänge waren zugezogen, überall in der Küche und dem kleinen Wohnzimmer lagen Fastfood-Verpackungen herum, in den alten, verklebten Pappbechern krabbelten Ameisen, und die Schmutzwäsche stapelte sich.
Shana warf sich in einen Sitzsack, auf dem ein zerrissenes und schmutziges Kissen lag, und wandte sich dem Fernseher zu. Auf dem Bildschirm war nur Schneetreiben zu sehen. Auf dem Gerät stand eine Zimmerantenne. »Ich konnte die Kabelgebühren nicht bezahlen. Die Antenne habe ich kürzlich im Müll gefunden. Die Kosten fürs Kabelfernsehen sind horrend, also habe ich beschlossen, darauf zu verzichten. Brett meinte, es ginge auch ohne Kabel, weil die Sender jetzt in HDTV ausstrahlen. Es stimmt nicht, wie man sieht, aber es ist egal. Ich habe eh keine Zeit zum Fernsehen.«
»Jetzt aber schaust du gerade.«
»Ja«, sagte Shana. »Ich schau mir gerade
Dracula
an, den mit Gary Oldman. Er ist gut. Soll ich dir davon erzählen?«
Lily trat zum Fernseher und schaltete ihn aus. »Nein, Shana, ich bin nicht den ganzen Weg hierhergekommen, um mich mit dir über Vampire zu unterhalten. Seit wann gehst du nicht mehr an die Uni?«
»Weiß nicht. Ein paar Wochen vielleicht.«
Lily stützte die Hände in die Hüften. »Das hier ist eine Müllkippe. Du könntest wenigstens mal putzen.« Sie begann, die Fastfood-Verpackungen einzusammeln. »Hier gibt es Ameisen. Du wirst dem Hausmeister Bescheid sagen müssen, damit er sie vernichten kann. Wenn du nicht bald was tust, werden die Nachbarn auch welche kriegen.«
»Mir war in letzter Zeit nicht so nach Putzen. Was geht’s dich überhaupt an? Du wohnst hier ja nicht.«
»Vergiss nicht, wer die Rechnungen bezahlt.« Lily stopfte den Müll in einen überquellenden Abfalleimer in der Küche und setzte sich wieder auf die Couch. Ihr Rücken schmerzte so, dass sie keine bequeme Position finden konnte. Sie durchsuchte ihre Handtasche nach den Schmerztabletten, fand sie aber nicht. In der Eile hatte sie vergessen, sie einzupacken.
Ein bitterer Geruch stieg ihr in die Nase. Er kam aus dem Aschenbecher auf dem Couchtisch. Sie stocherte darin herum, bis sie zwischen den Zigarettenstummeln einen Joint herausfischte. Ihr Magen zog sich zusammen. »Ich kann nicht fassen, dass du Haschisch rauchst«, sagte sie, und ihre Stimme wurde schrill. »Kein Wunder, dass du mit dem Studium Probleme hast.«
»Ich rauche nicht, Mom«, sagte Shana. »Der muss noch von Julie stammen. Sie hat nur ganz selten einen Joint geraucht, um sich zu entspannen. Alle rauchen Dope. Wir sind hier in Santa Clara County, alles klar? Erst vor kurzem hat die Polizei neuntausendsechshundert Marihuanapflanzen im Mount Madonna Park beschlagnahmt. Hier wirst du schon high, wenn du nur die Luft einatmest. Ich glaube, Julie hatte es sogar verschrieben bekommen. Der Arzt hat es ihr anstelle von Beruhigungsmitteln gegeben.«
Lily zerquetschte den Joint in ihrer Handfläche. Drogen waren teuer, vielleicht war das der Grund, warum Shana ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen konnte. Shana schaltete den Fernseher wieder ein und starrte auf den Bildschirm, als hätte sie ihre Mutter vergessen; ihre langen Beine hatte sie von sich gestreckt.
»Du kommst mit mir nach Hause«, sagte Lily. »Und ich akzeptiere kein Nein.« Shana antwortete noch immer nicht. Sie ging ins Bad und spülte den Joint in der Toilette hinunter. Sie musste ihre Tochter hier rausholen, wenigstens für ein paar Tage. Sie war deprimiert wegen der Geschichte mit ihrem Freund. Ein Tapetenwechsel täte ihr gut.
Shana hatte eine Therapie gemacht, als sie jünger war, sie jedoch aufgegeben, als sie ans College gegangen war. Der Tod ihres Vaters war schmerzlich gewesen, aber er war nun schon seit Jahren tot. Hätte Lily geahnt, dass irgendetwas nicht in Ordnung
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