Maedchenjagd
drei.«
Cunningham war nur wenige Straßen vom Tatort entfernt. Eine Streife war losgeschickt worden, und er sichtete die Autofahrer, die ihm entgegenkamen. Doch alles, was er vor Augen hatte, war das Gesicht von Lily Forrester. Er beugte sich vor und schaltete den Funk aus. Warum nur hatte sie ihn angerufen und gestanden, dass sie Bobby Hernandez erschossen hatte? Warum hatte sie es nicht einfach auf sich beruhen lassen? Jetzt, da Manny tot war, gab es keine Beweise mehr; sie stand nicht unter Verdacht. Es war so dumm von ihr, typisch Frau: ein Geständnis abzulegen, wenn sie sich eigentlich schon unbehelligt aus der ganzen Geschichte manövriert hatte. Sie hatte das perfekte Verbrechen begangen, war dann plötzlich zu einem schluchzenden Häufchen Elend degeneriert und hatte einem inneren Drang nachgegeben, sich moralisch zu verhalten. Wut stieg in ihm auf, und in seinem Magen gurgelte es sauer wie in einem Hexenkessel.
»Es gibt keine Moral mehr«, sagte er. »Präsidenten lügen und begehen Verbrechen. Priester stehlen und huren herum. Eltern ermorden ihre Kinder, Kinder ihre Eltern.« An diesem Morgen hatte er einen Artikel über einen Feuerwehrhauptmann gelesen, der wegen Brandstiftung in zwölf Fällen angeklagt worden war. Auf der nächsten Seite ging es um einen Polizisten aus Los Angeles, der sich als Berufskiller hatte verdingen wollen. Und in der Dienststelle am Schreibtisch neben ihm saß ein Mann mit Waffe und Dienstmarke, von dem Cunningham sicher zu wissen glaubte, dass er ein kaltblütiger Mörder war. Wohin sollte das alles führen? Wie viel tiefer mochte die Gesellschaft noch fallen?
Er suchte die Straßen vor sich ab, registrierte die Häuser und die gesichtslosen Fußgänger. »Haut ab und versteckt euch in euren Häusern, Idioten«, schrie er ihnen entgegen. »Wenn nicht, dann wird einer kommen und euch aus reiner Lust und Laune erschießen. Verrammelt die Türen. Verkriecht euch unter den Betten. Seht ihr nicht, dass wir im Krieg sind? Wisst ihr nicht, dass die Hälfte der Leute, die hier unterwegs sind, mehr Knarren rumschleppen als die Polizei?«
Er fuhr unter der Schnellstraße hindurch und raste über den Victoria Boulevard, an dem die Regierungsgebäude lagen. »Bullen, Polizisten, Sheriffs«, spie er aus. Er wurde langsamer und hielt nach den Straßennamen Ausschau, dann bog er abrupt nach rechts ab, so dass der Wagen hinten ausbrach. In einer Einfahrt stieg eine junge Frau in ein Auto. »Ruf einen Polizisten zu Hilfe, und es kann passieren, dass er dich vergewaltigt, Mädchen. Oder er erschlägt deinen Freund mit seinem Knüppel, weil er einen schlechten Tag hat. Weißt du, kein vernünftiger Mensch geht heutzutage noch zur Polizei, und die schlimmste Bestie ist der Sheriff.«
Er nahm die Straße hinauf in die Ausläufer der Berge und hielt Ausschau nach der Adresse, die Lily ihm genannt hatte. Es war stockdunkel. Er konnte die Hausnummern nicht erkennen. Plötzlich entdeckte er einen roten Honda und trat auf die Bremse. Das Haus war dunkel. Er würgte den Motor ab, blieb bewegungslos sitzen und lauschte. Es war zu dunkel und zu still. Es juckte ihn in der Nase, und er glaubte, den Tod zu riechen.
»Nein«, schrie er und schlug mit den Händen auf das Lenkrad. Er stellte sich vor, was er im Haus vorfinden würde: rote Haarsträhnen, die an Wänden und Decke klebten, niedliche kleine Sommersprossen, in der Luft verteilt wie Staubkörner, und Lilys Mund, in dem der Lauf jener Waffe steckte, mit der sie Hernandez ins Jenseits befördert hatte. Er müsste die Einsatzzentrale benachrichtigen, es ihrem wunderbaren kleinen Mädchen sagen, das bereits verwundet und verletzt war.
Er hielt die Luft an, als er auf die offen stehende Haustür zuging. Nichts als das Stakkato seines eigenen Herzens war zu hören. Dann machte er sie im Schatten aus. Lily saß am Boden, bewegungslos lehnte sie an der Wand. Er erwartete das Schlimmste. Er suchte nach Blutspuren, einem Gewehr oder einer Pistole. Als er jedoch seine eiskalten Finger ausstreckte, um ihren Puls an der Halsschlagader zu fühlen, spürte er das Auf und Ab des Lebens.
»Lily«, sagte er, fiel auf die Knie und schüttelte sie sanft. Ohne dass er wusste, warum, nahm er sie in die Arme und drückte sie an seine Brust.
»Daddy«, flüsterte sie mit gedämpfter Kinderstimme.
»Alles wird gut. Ich bin da. Es ist alles in Ordnung.« Er hielt sie fest und wiegte sie und wiederholte die Worte wieder und wieder. Sie hatte den Bezug zur
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